Maria hat das Bessere gewählt
Rembrandt Harmenszoon van Rijn, Jesus im Haus von Marta und Maria (um 1632/33). |
Als
Jesus mit seinen Jüngern weiterzog, kam er in ein Dorf. Dort nahm
ihn eine Frau als Gast bei sich auf. Ihr Name war Marta.
Sie
hatte eine Schwester, die Maria hieß. Die setzte sich zu Füßen des
Herrn nieder und hörte ihm zu.
Aber
Marta war ganz davon in Anspruch genommen, sie zu bewirten.
Was Lukas erzählt, zeichnet Rembrandt
mit leichter Feder, so wie er es sieht.
Jesus sitzt dort, den rechten Unterarm
auf die Tischplatte gelegt, die Beine übereinander geschlagen. Den
linken Arm streckt er in den Raum, die Handfläche nach oben. Als
würde er etwas sagen müssen, was doch auf der Hand liegt.
Vielleicht deutet die Hand auch auf
Maria. Sie sitzt nicht zu Füßen von Jesus, aber auf einem Stuhl an
seiner Seite. Mit der linken Hand hält sie ein Buch fest, das auf
ihrem Schoß liegt. Den rechten Ellenbogen stützt sie auf die Lehne
ihres Stuhles. So neigt sie sich mit dem ganzen Körper zu Jesus
hinüber.
Beide, Jesus und Maria, schauen auf
Marta. Sie steht seitlich vor ihnen, den Oberkörper leicht nach
vorne gebeugt. Neben ihr steht ein Korb auf dem Tisch. Vielleicht hat
sie ihn gerade abgestellt.
Ihre Arme und Hände braucht sie zum
Reden. Die eine Hand zeigt mit ausgestrecktem Zeigefinger in den
Raum, vielleicht auf ihre Schwester Maria. Den anderen Zeigefinger
hat sie erhoben, vielleicht, weil sie etwas Wichtiges zu sagen hat.
Was das ist, erzählt wiederum Lukas:
Schließlich
ging Marta zu Jesus und sagte: »Herr, macht es dir nichts aus, dass
meine Schwester mich alles allein machen lässt? Sag ihr doch, dass
sie mir helfen soll!«
(Lukas 10,40b)
Was Lukas nicht erzählt und Rembrandt
nicht zeichnet: Ich stelle mir vor, es sind noch andere Menschen im
Haus. Die Jünger, die mit Jesus weiterzogen in das Dorf von Maria
und Marta. Und auch wir, Frauen und Männer, die als Gäste auf Maria
und Marta und Jesus schauen.
Es ist schon ein wenig peinlich, was
sich vor unseren Augen zwischen den beiden Schwestern, den
Gastgeberinnen, abspielt. Jedenfalls lässt es uns nicht kalt.
Die einen stöhnen womöglich über
Marta, die schon die ganze Zeit hin- und herläuft wie ein
aufgescheuchtes Huhn oder eben eine besorgte Hausfrau.
Wir kennen das auch. Es gibt immer
etwas zu tun. Aber manchmal ist es auch genug. Ach, Marta, setz dich
doch endlich mal hin, es ist alles da, du machst uns ganz wuschig.
Die anderen sind womöglich kurz davor
aufzuspringen, um Marta zu helfen. Mit einem verärgerten Blick auf
Maria, die dort einfach nur herumsitzt, als gäbe es nichts zu tun.
Wir kennen sie auch, diese Menschen,
die einfach nicht sehen können oder wollen, was zu tun ist. Mensch,
Maria, hör auf zu träumen und nur auf dich selber zu schauen. Steh
auf und hilf mit.
Aber so gut wir Maria und Marta und
das, was sie bewegt, zu kennen meinen: Wir sind ja nur Gäste, es
steht uns nicht zu, etwas zu sagen oder aufzuspringen.
Jesus dagegen muss etwas sagen: „Sag
Maria doch, dass sie mir helfen soll!«, hat Marta mit erhobenem
Zeigefinger verlangt.
Aber
der Herr antwortete ihr: »Marta, Marta! Du bist so besorgt und
machst dir Gedanken um so vieles. Aber nur eins ist notwendig: Maria
hat das Bessere gewählt, das wird ihr niemand mehr wegnehmen.«
Hier hört Lukas auf zu erzählen. Und
Rembrandt hält die Szene fest. Marta erhebt die Zeigefinger, Maria
hält das Buch fest, Jesus weiß genau, was er sagt.
Die Szene ist zu Ende, aber die
Geschichte muss irgendwie weitergehen. Jesus und Maria können nicht
ewig dort sitzen und Marta nicht endlos dort stehen.
Vielleicht geht es ja so weiter: Die
Gäste werden unruhig und beginnen zu tuscheln, die einen leiser und
ehrfürchtig, die anderen erregt und lauter.
Das haben wir doch gesagt, sagen die
einen. Marta soll endlich mal Ruhe geben. Wer ständig nur hin- und
herrennt, hat am Ende das Leben verpasst. Zumindest das, was wirklich
wichtig ist.
Das kann doch nicht sein, sagen die
anderen. Maria könnte ruhig auch mal aufstehen und mit anpacken. Es
geht doch nicht an, sich immer nur bedienen zu lassen. Da lebt man ja
auf Kosten der anderen.
Und schon sind die Gäste mittendrin
in einem etwas wirren Streitgespräch. Die Argumente wirbeln
schneller umher als Marta zuvor zwischen den Tischen. Die einen
stellen sich an Marias Seite, die anderen verteidigen Marta.
Die einen sind in ihrem Leben
vielleicht selber eher Marias. Sollen wir sie die stillen Genießer
nennen? Jedenfalls mögen sie es, sich an einen gedeckten Tisch zu
setzen.
Dort sitzen sie dann und genießen,
was auf dem Tisch steht. Manchmal sind sie dabei auch tatsächlich
still. Sie hören dem zu, was andere zu sagen haben.
Sie saugen die Geschichten auf, die
vom Leben erzählen und davon, wie es sein könnte. Und immer wieder
tragen sie bei, was sie erfahren und erlebt haben.
Die anderen sind in ihrem Leben
vielleicht selber eher Martas. Vielleicht nennen wir sie die
hilfreichen Geister. Jedenfalls sind sie die, ohne deren Eifer vieles
nicht liefe.
Sie haben ihre Augen überall und
sehen, was andere brauchen und nötig haben. Sie erfüllen Wünsche
und Bedürfnisse, noch ehe sie ausgesprochen sind.
So ahnen sie genau, was anderen gut
tut und ihnen eine Freude bereitet. Und wenn sie sehen, wie andere
genießen, was sie ihnen bereiten, sind sie fröhlich und zufrieden.
Nur manchmal ärgern sich die Martas,
weil sie nicht richtig gewürdigt werden in ihrem zugewandten Tun.
Und manchmal kommen sie sich dabei allein gelassen vor.
Und nur manchmal piekt die Marias das
schlechte Gewissen, weil sie eine Arbeit haben liegen lassen. Und
manchmal sind sie genervt von denen, die nicht ruhig sitzen können.
Aber im Großen und Ganzen genießen
die Marias es, das Leben um sich herum auszukosten. Und ganz ehrlich:
Faul sind sie nicht. Was getan werden muss, tun sie.
Und auch die Martas sind im Großen
und Ganzen zufrieden, wenn sie etwas finden, das zu tun ist.
Und ganz ehrlich: Wenn alles oder
zumindest das Meiste getan ist, setzen sie sich gern mit an den
Tisch.
Es gibt eben Zeiten, da ist das eine
dran. Und es gibt Zeiten, da ist das andere dran. Und die einen mögen
lieber das Genießen, und die anderen fühlen sich eher beim Tun
wohl.
Jede, wie sie mag, und alles zu seiner
Zeit also.
Nur Jesus, der sieht das anders:
»Marta, Marta! Du bist so besorgt und machst dir Gedanken um so
vieles. Aber nur eins ist notwendig: Maria hat das Bessere gewählt,
das wird ihr niemand mehr wegnehmen.«
Damit muss Marta erst einmal klar
kommen. Ja, Jesus sieht, was sie alles tut. Und ja, er genießt wohl
auch den gedeckten Tisch. Er greift fröhlich zu.
Aber nur eins ist notwendig.
Und das ist nicht das, was Marta tut. Sorgen und Gedanken machen, das
ist nicht notwendig. Als käme das Essen von allein auf den Tisch.
Marta verschlägt es die Sprache. Sie
ist zu überrascht, um wütend zu sein. Sie lässt die Hände sinken
und setzt sich an den Tisch.
Und Maria? Maria schaut Jesus an. Sie
versucht ihn zu verstehen. Wieso wendet er sich gegen ihre Schwester
und stellt sich so eindeutig auf ihre Seite?
Maria weiß es, und sie weiß auch,
dass Jesus es weiß: Das, was Marta tut, ist notwendig. Das Essen
muss ja auf den Tisch. Und doch sagt er: Es ist nicht notwendig.
Und was ist an dem, was sie tut,
notwendig? Was ist daran das Bessere, hier zu sitzen, mit dem Buch
auf dem Schoß und den Augen an Jesu Lippen?
Es muss, denkt Maria, etwas mit Jesus
zu tun haben. Damit, wie ihre Schwester und sie zu Jesus stehen, sich
zu ihm verhalten.
Marta ist die, die Jesus umsorgen und
alles für ihn tun will. Sie dient ihm. Im besten, aufrichtigen Sinn.
Sie ist froh und dankbar, ihn in ihrem Haus zu haben. Alles, was sie
ihm geben kann, will sie ihm geben.
Sie, Maria selber, ist die, die Jesus
bei sich aufnehmen und alles von ihm haben will. Sie empfängt ihn.
Im besten, aufrichtigen Sinn: Sie ist froh und dankbar, ihn in ihrem
Haus zu haben. Alles, was er ihr geben kann, soll er ihr geben.
Vielleicht, so denkt Maria, vielleicht
ist das der Unterschied zwischen Marta und mir. Sie will alles für
Jesus tun, was sie tun kann. Und ich will alles von ihm erhalten, was
ich erhalten kann.
Und vielleicht hält Jesus das für
die bessere Haltung: Ihm nicht alles geben zu wollen, sondern alles
von ihm empfangen zu wollen. Nicht immer etwas für ihn tun zu
wollen, sondern auf das zu hören, was er zu sagen hat.
Vielleicht ist das die bessere
Haltung: Jesus gegenüber nicht die zu sein, die tut und gibt.
Sondern die zu sein, die bekommt und empfängt.
Aber so sicher ist sich Maria da
nicht. Wer kann sich schon sicher sein, Jesus zu verstehen. Sie
könnte ihn fragen. Aber sie traut sich nicht. Die Gelegenheit ist
auch schon vorbei. Jesus hat sich längst schon einem der Jünger
zugewandt.
Und da Marta immer noch am Tisch
sitzt, sprachlos und verwirrt, steht Maria auf und nimmt den Korb vom
Tisch und holt noch etwas Brot und ein Schälchen Oliven.
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