Tête-à-Tête mit Gott


„Wenn du betest, geh in dein Zimmer und verriegel die Tür.“ Jesus sagt das. Wir vermuten ja, dass er das heute nicht mehr eigens betonen müsste. Wer stellt sich heute noch irgendwo hin und betet in aller Öffentlichkeit?

Beten ist etwas sehr Persönliches geworden. Deswegen haben uns in dieser Woche eine Ministerpräsidentin und ein Ministerpräsident überrascht. Sie sprachen in dieser Woche öffentlich über ein Gebet, das sie bewegt – und beide unabhängig voneinander über dasselbe.

Die eine war Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern. Die trat vor die Presse und sagte: „Ich habe den Krebs überwunden.“ Auf Twitter schrieb sie dazu: „Von guten Mächten wunderbar geborgen.“ Das hatte sie auch schon so geschrieben, als sie ihre Erkrankung bekannt gab.

Der andere war Bodo Ramelow aus Thüringen. Der gab der Wochenzeitung Die Zeit ein langes Interview, in dem er offen von schlaflosen Nächten erzählte. Er sagte, dass es ihm half ein Lied zu singen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen.“

Das hat uns berührt, weil dieses Gebet vor kurzem auch gesprochen haben. Hier in St. Johannis, in der Orgelandacht am 8. Mai zur Erinnerung an das Kriegsende und die Befreiung vom Nationalsozialismus.

„Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, – so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last. Ach, Herr, gib unsern aufgescheuchten Seelen das Heil, für das Du uns geschaffen hast."

Das Gebet stammt von Dietrich Bonhoeffer, einem Theologen und Pastor, der im KZ hingerichtet wurde. Später wurde aus dem Gebet auch ein Lied. Ihr werdet es kennen.

Wir haben also gestaunt über Manuela Schwesig und Bodo Ramelow. Beide haben etwas sehr Persönliches öffentlich gemacht. Was sie erzählt haben, ließ etwas ahnen von dem, was sie im Innersten bewegt und umtreibt.

Das hat uns berührt, weil wir das nachvollziehen können. Der Krebs wirft von jetzt auf gleich ein ganzes Leben durcheinander. Mit ihm zu kämpfen, kostet Kraft.

Wir haben zuletzt auch mal etwas unruhig geschlafen. Etwa als es darum ging, ob wir wieder in der Kirche Gottesdienst feiern. Uns stellte sich die Frage, die sich während dieser Pandemie so oft stellt: Geht das? Oder ist das zu gefährlich?

Gerade in diesen unruhigen Tagen ist da so viel, was einen bewegen, was eine umtreiben kann. In den Gottesdiensten hier gibt es deshalb jetzt immer eine Stille.

Damit sich all das einmal setzen und ausruhen kann, was an Gedanken sonst so pausenlos herumschwirrt. Endlich bin ich einmal ruhig geworden, sagte in der vergangenen Woche jemand nach dem Gottesdienst.

Das heißt für uns Beten: Das, was mich bewegt, auszusprechen. Laut oder leise, mit Worten oder im Herzen. So stelle ich es vor mich in den Raum und schaue es mir an.

Und ich merke: Ich bin nicht allein. Gott schaut sich das mit mir an, was mich im Innersten umtreibt. Der nimmt das in die Hand. Bei Gott ist das gut aufgehoben. Und ich werde ruhig.

Jesus sagt: Das geht am Besten, wenn ihr es nicht öffentlich macht, sondern für euch allein. Beten, das ist so etwas wie ein Tête-à-Tête mit Gott und dir. Und wenn es nur eine Drei-Minuten-Stille dauert.

Jesus sagt auch: Dazu braucht das gar nicht so viele Worte. Sagt Gott, wie es euch geht, an wen und woran ihr denkt. Und wenn es nur ein Wort, ein Name ist. Was dir gut tut und was anderen hilft, das weiß Gott schon selber.

Auch deswegen haben wir über Manuela Schwesig und Bodo Ramelow gestaunt. Weil die beiden das auch tun: Wenn sie unruhig sind, Ruhe suchen in einem Gebet.

Es ist gut und richtig, dass sie das in ihrem Zimmer tun. Aber dass sie es tun, das darf gern öffentlich sein.

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