Wie wir uns erinnern werden

Die Menge der Glaubenden war ein Herz und eine Seele.
So erzählt Lukas in der Apostelgeschichte über die Anfänge aller christlichen Gemeinden.

Wir haben da ja so unsere Zweifel. Als Lukas in seiner Apostelgeschichte über diese wunderbaren Zeiten schrieb, lagen die schon zwei Generationen zurück.

Wenn man Paulus befragt, waren auch in den Anfängen längst nicht immer alle ein Herz und eine Seele. Er selber stritt sich mit Petrus, wie denn Menschen, die zuvor keine Juden waren wie sie, dennoch zur Gemeinde gehören können.

Und einer Gemeinde schrieb er: Es kann ja gar nicht anders sein, als dass es verschiedene Parteien bei euch gibt. Gemeinsam feiert ihr Gottesdienst, aber danach isst jeder für sich. Der eine ist noch hungrig, der andere schon betrunken.

Die Menge der Glaubenden war ein Herz und eine Seele. Vielleicht schreibt Lukas das so, weil der Blick zurück manches verklärt. Früher waren alle Weihnachten weiß und alle Christen edel und hilfreich und gut.

Aber diesen rosaroten Blick zurück, den gibt es ja vor allem, wenn die Gegenwart allzu grau ausfällt. Weil früher, ja, da war schon früher alles viel besser und das ist es heute noch.

Vielleicht schreibt Lukas das auch so, weil er eine Idee hat: Das wäre doch was, wenn die Menschen sich einmal so an uns erinnern: Sie waren ein Herz und eine Seele.

Das haben wir ja in der Hand. Es liegt ja an uns jetzt, wie sich die Menschen später an uns erinnern. Es liegt ja an dem, was wir jetzt tun und lassen.

So zum Beispiel könnten sie sich später erinnern: Die Generation COVID-19, das war, als alles begann. Damals fing an, dass Politiker nicht nach Meinungsumfragen und Macht schauten, sondern nach wissenschaftlicher Expertise.

So beschlossen sie die Maßnahmen, die halfen, die Pandemie einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Und sie beschlossen Maßnahmen, die halfen, den Klimawandel in beherrschbare Bahnen zu lenken.

Denn damals lernten sie alle miteinander: Es gibt Probleme, die machen vor keiner Grenze halt und die kann man nur bewältigen, wenn alle zusammen nach Lösungen suchen.

Auch so könnten sich die Menschen später erinnern: Die Generation COVID-19, das waren die, die lernten, dass es nicht immer nur schneller und höher und weiter geht.

Das waren die, die entdeckten, dass es langsamer und tiefer und entspannter noch viel besser geht. Die schauten mitten am Tag in den blauen Himmel und fuhren Fahrrad und saßen mit der Familie zusammen lange am Esstisch.

Denn damals merkten sie alle: Viel schöner als der Lauf im Hamsterrad ist der Spaziergang am Strand.

Oder die Menschen könnten sich so erinnern: Die Generation COVID-19, das waren die, die sich, wenn sie sich trafen, fragten: Wie geht es dir? Und die tatsächlich hören wollten, wie es dem anderen ging.

Und das waren auch die, die sich in die Augen schauten, wenn sie sich sahen, und sich am Lächeln des anderen freuten und die sich gegenseitig berührten und in den Arm nahmen, weil sie das eine ganze Zeit lang nicht durften.

Und die sagten sich, wenn sie sich verabschiedeten: Bleib gesund. Bleib behütet. Und die meinten das ernst. Weil alle zusammen hatten sie gelernt, wie zerbrechlich das Leben ist und wie wertvoll.

Ach. Wir hören besser auf damit. Noch stecken wir ja mitten im Coronavirus-Alltag. Mit der Unsicherheit, was zu tun ist. Mit der Sehnsucht nach Normalität. Mit den Masken im Gesicht.

Wir schwelgen in Erinnerungen an Zeiten, die noch gar nicht gewesen sind. Das ist einerseits ziemlich schwierig. Weil wir noch warten müssen.

Das ist andererseits ziemlich gut: Es liegt ja an uns, dafür zu sorgen, dass die Zeiten so werden. Wir können ja das Gute sehen und tun. Jede und jeder für sich und alle gemeinsam.

Und später dann werden andere über uns sagen: Sie waren ein Herz und eine Seele.


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