Haltet mit allen Menschen Frieden


"Haltet mit allen Menschen Frieden, soweit das möglich ist und es an euch liegt." Paulus schreibt das an die Gemeinde in Rom. Zusammen mit vielen weiteren Empfehlungen, die sich wie lange To-do-Liste für den Frieden lesen. 

Wir sind so frei und verlängern sie noch um einen weiteren Punkt: „Mensch, ärgere dich nicht!“ Wer jetzt an das Spiel denkt, denkt genau richtig. 

Da spielen also zwei miteinander Mensch-ärgere-dich-nicht. Sagen wir: Die Roten und die Blauen. Es ist eine typische Partie. Blau hat zuerst eine Figur ins Haus gebracht. Danach Rot gleich zwei. Dann wieder Blau eine. So geht das Spiel hin und her.

Zwischendurch schmeißen sich Rot und Blau gegenseitig raus. Blau stellt die roten Figuren dann vorsichtig zurück auf rote Feld. Rot dagegen kickt die blauen Figuren quer übers Spielfeld.

Rot bekommt beim Spielen einen roten Kopf und schimpft und wütet. Blau muss ebensolches Blut haben. Jedenfalls bleibt er die ganze Zeit über entspannt und freundlich.

Am Ende des Spiels sieht es so aus, als gewinnt Rot. Drei Figuren hat er schon ins Ziel gebracht. Mit der vierten Figur ist er auf der Zielgeraden. Eine Drei muss er noch würfeln.

Aber es kommt, wie es bei Mensch-ärgere-dich-nicht kommen muss: Blau würfelt noch eine Sechs und braucht noch eine Zwei und würfelt auch die und setzt die letzte Figur ins Ziel.

Und es kommt, wie es bei Mensch-ärgere-dich-nicht kommen muss: Rot schimpft und zetert davon, dass Blau ja geschummelt hat und dass eigentlich er gewonnen hat.

Und Blau sagt, was Sieger in dem Augenblick gern sagen: Mensch, ärgere dich nicht. Es ist doch nur ein Spiel. Dabei ist Mensch-ärgere-dich-nicht ja viel mehr als ein Spiel.

Mensch-ärgere-dich-nicht ist wie das richtige Leben. Zumindest für die, die immer gewinnen wollen und müssen. Im Spiel wie im Leben.

Rot zum Beispiel. Wir stellen uns vor, dass der Rote im richtigen Leben einer ist, der immer gewinnen muss. Der die Macht haben will und Recht behalten will.

Nach seinem Verständnis kann es gar nicht anders sein, als dass er es ist, der eine Sechs nach der anderen würfelt. Und falls es doch einmal anders ist, dann versucht er kleine Tricks oder größere Betrügereien, um an der Macht zu bleiben.

Mehr noch: So ein Machtmensch, das ist einer, der sich nur dann an die Spielregeln hält, wenn sie ihm helfen. Aber eigentlich steht er außerhalb aller Regeln. Nicht er richtet sich nach ihnen. Sie müssen sich nach ihm richten.

Es macht wenig Spaß, mit solchen Machtmenschen Mensch-ärgere-dich-nicht zu spielen. Und noch weniger Freude bereitet es, ihnen im wirklichen Leben zu begegnen.

Aber man trifft sie an so vielen Orten. Dort, wo es um die Macht geht natürlich und vor allem. Das war vier Jahre lang zu beobachten, wie einer sich an keine politische Regeln hält.

Nicht an die Regeln der Wahrheit: Wenn die Wahrheit nicht in den Kram passt, gibt es alternative Fakten. Oder die Wahrheit selber wird zu „Fake News“ erklärt.

Nicht an die Regeln der Achtung: Menschen, die er für Gegner hält, werden von ihm gedemütigt und beleidigt. Ganze Menschengruppen werden mit Vorurteilen überzogen.

Was das Erschreckende daran ist: Es gibt viele, viele Menschen, die ihn genau dafür feiern und wählen. Als wollten sie das: Weg mit den alten Regeln des Zusammenlebens.

Und die alten Regeln bröckeln. Auch diesseits des Ozeans. Man kann dabei zusehen, wie das Coronavirus an ihnen nagt und ihnen zusetzt.

Wahrheit in Form von wissenschaftlicher Erkenntnis ist kompliziert und leider in den seltensten Fällen so eindeutig, wie ich mir das wünsche.

Eine Verschwörungstheorie dagegen erscheint als eine kraftvolle Wahrheit. Nach außen völlig absurd, aber in sich selber so schön logisch und nach innen abgeschlossen.

Auch die Achtung ist kompliziert. Verlangt sie doch, dass ich dem anderen in die Augen schaue und ihm zuhöre und ihm und seinen Anliegen und Ansichten zumindest grundsätzlich den gleichen Wert unterstelle wie den meinen.

Verachtung dagegen ist viel einfacher und auch viel stärker. Wenn ich den anderen ablehne, brauche ich mich nicht mit seiner Sicht auf die Welt auseinanderzusetzen, und danach zu fragen, was ihm womöglich gut tut.

Man trifft sie an vielen Orten, die Spielverderber. Und wenn man nicht aufpasst, fängt man über kurz oder lang an, sich über sie zu ärgern.

Wieso gilt für die nicht die Wahrheit, die ich als Wahrheit erkannt habe? Was sind das bloß für Idioten? Und wie kommen die dazu, sich hinzustellen und andere Menschen zu beschimpfen? Man kann sie nur verachten.

Und schon habe ich verloren und die Spielverderber haben gewonnen. Weil sie die Regeln des Spiels geändert haben und ich auf einmal nach ihren Regeln spiele.

Deshalb: Mensch, ärgere dich nicht. Oder wie Paulus schreibt: "Lebt mit allen Menschen in Frieden – soweit das möglich ist und es an euch liegt."

Soweit es an euch liegt. Da kann man hören: Die Sache mit dem Frieden liegt nicht an euch. Wenn der andere keinen Frieden will, kann es keinen Frieden geben.

Wenn ich mit einem Mensch-ärgere-dich-nicht spiele, der sich ärgern will, komme ich dagegen nicht an. Der wird schimpfen, wenn er keine Sechs würfelt. Der wird zetern, wenn ich ihn rausschmeiße. Und wehe, wenn er verliert.

Wenn einer das will, wird er es tun: Die Wahrheit biegen, bis sie ganz krumm und nicht mehr zu erkennen ist. Lügen, solange die Nase noch wachsen kann.

Und er wird seine Verachtung in jeden seiner Sätze träufeln und sie über andere Menschen ausgießen, damit sie darin umherwaten und ertrinken.

Das zu ändern liegt nicht bei mir. Zumindest nicht unmittelbar. Aber mittelbar schon: Soviel an euch liegt, das heißt ja auch: Tut, was ihr tun könnt.

Spielt weiter nach den Regeln. Geht ein Feld vor, wenn ihr eine Eins gewürfelt habt. Und würfelt geduldig, bis er die Sechs gewürfelt habt, die ihr braucht.

Bleibt bei der Wahrheit. Haltet euch an die Fakten. Und wenn sie unklar sind, dann sagt: Die Fakten sind unklar. Wir können es nicht entscheiden.

Bleibt bei den Regeln. Werft die andere Figur freundlich raus. Wenn ihr rausgeschmissen werdet, nehmt es hin. Wenn der andere gewinnt, gratuliert ihm. Und wenn ihr gewinnt, bietet dem anderen eine neue Runde an.

Bleibt in der Achtung. Schaut dem anderen in die Augen. Haltet die Verbindung. Zeigt ihm, dass ihr seine Meinung hört, auch wenn ihr sie nicht teilt. Dass ihr ihn wertschätzt, auch wenn ihr ihm widersprecht.

Mensch, ärgere dich nicht. Wenn du dich nicht ärgerst und nicht ärgern lässt vom Ärger des anderen – vielleicht bleibt der andere dann sitzen und spielt noch eine Runde.

Wenn du weiter nach den Regeln spielst. Wenn du weiter in der Wahrheit und bei der Achtung bleibst – vielleicht gelingt das dann auch dem anderen.

Deshalb: Mensch, ärgere dich nicht. Oder wie Paulus schreibt: "Lebt mit allen Menschen in Frieden – soweit das möglich ist und es an euch liegt."

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