Trille und Opa waren traurig
Trille und Opa waren traurig. Tante-Oma war gestorben. Am Sonntag, als der Schnee kam. Da war sie gestorben.
Eben war Trille noch bei ihr gewesen. Er hatte bei ihr auf dem Sofa gesessen und hatte Waffeln gegessen, die niemand so lecker zubereiten konnte wie Tante-Oma. Er hatte sich bei ihr angekuschelt, während sie erzählte.
Tante-Oma hatte das größte, wärmste Herz, das Trille kannte. Sie hatte nur einen Fehler, das Stricken. Immer verschenkte sie zu Weihnachten etwas Gestricktes – statt eines Geschenkes, das man im Spielzeugladen kaufen konnte.
Aber nun war Tante-Oma tot. Unwirklich fühlte sich das an. Wie konnte jemand, der immer da war, plötzlich nicht mehr da sein? Und unwirklich sah das auch aus: Tante-Oma lag in ihrem Sarg als würde sie ganz friedlich schlafen. Aber die Hand war kalt.
Sie sind gestorben, die Menschen, an die wir heute denken, für die wir eben Lichter angezündet haben.
Sie sind gestorben, ihre und eure Herzensmenschen. Der Mann, die Frau. Die Mutter, der Vater. Der Opa, die Oma. Die Schwester, der Bruder. Der Freund, die Freundin.
Ganz plötzlich sind die einen gestorben. Eben wart ihr noch zusammen. Ihr habt gelacht und erzählt und geplant.
Ein langer Abschied war es bei anderen. Ein gemeinsamer Kampf gegen die Krankheit und um noch ein kleines bisschen mehr Leben.
Mit vielen von euch haben wir am Sarg gestanden. Manchmal haben wir gesagt: Das darf nicht sein, das kann nicht sein. Manchmal haben wir auch gesagt: Es ist gut.
Wir haben geweint und gebetet und gesegnet. Wir haben versucht Abschied zu nehmen. Aber die Trauer ist geblieben, sie bleibt.
Trille und Opa waren traurig. Trille saß bei Opa. Opa hatte Kaffee gekocht. Trille bekam eine halbe Tasse Kaffee und zehn Stückchen Würfelzucker.
Opa sagte: „Weißt du Trille, wenn einer traurig ist, weil er einen Menschen vermisst, dann bedeutet das, dass er diesen Menschen gernhat. Und jemanden gernzuhaben, das ist das Schönste, was es gibt. Diejenigen, die wir vermissen, die haben wir in uns drinnen.“ Er schlug sich an die Brust, dass es dröhnte.
„Oh ...“, sagte Trille und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. „Aber Opa, man kann mit Leuten, die da drinnen sind, nicht spielen“, seufzte er und schlug sich auch auf die Brust.
Opa nickte und seufzte ebenfalls.
Als euer Herzensmensch, den ihr vermisst, starb, habt ihr am Tisch zusammengesessen. Bei vielen von euch sind wir dazu gekommen.
Ihr habt erzählt. Von dem Leben eures Herzensmenschen. Von den Tagen, die ihr miteinander gelebt habt.
Oft schoben sich die letzten Lebenstage, die letzten Bilder in den Vordergrund. Frisch war der Eindruck vom Abschied.
Aber immer waren da auch die Geschichten, die ihr gemeinsam erlebt hattet. Der erste Tanz, eine lange Reise. Bilder auf Papier oder vor dem inneren Auge, wie sie im Garten war oder er bei den Pferden.
Manches war nicht leicht zu erzählen, anderes blieb aus wichtigen Gründen verschwiegen. Bei vielem anderen waren gleichzeitig eine Träne und ein Lächeln im Gesicht.
Das wird auch heute so sein. Jetzt, im Gottesdienst, dann, wenn ihr noch einmal ans Grab geht, nachher, wenn ihr vielleicht noch einmal zusammensitzt und euch erinnert.
Da fällt beides ineinander und auseinander. Ihr tragt euren Herzensmenschen weiter im Herzen. Da drinnen ist sie, ist er. Die Erinnerungen schlagen im Takt des Herzens.
Und manchmal ist er, ist sie ganz nah. So nah, dass ihr hört, was sie jetzt sagen würde. Dass ihr ihm erzählen könnt, was euch bewegt.
Gleichzeitig ist abends der Sessel leer und steht am Morgen ein Teller weniger auf dem Tisch und öffnet sich mittags die Tür nicht mehr. Er ist ganz nah und doch weit weg. Sie ist nicht mehr da und doch noch da.
Trille und Opa waren traurig. Tante-Oma wurde beerdigt. „Jetzt ist Tante-Oma im Himmel“, sagte Trilles Mama. Gerade das war etwas schwer zu glauben, schließlich hatten sie den Sarg ja gerade auf dem Friedhof mit Erde bedeckt.
„Stimmt das, Opa?“, fragte Trille etwas später. „Dass Tante-Oma im Himmel ist?“
Opa saß in seinem Schaukelstuhl und schaute vor sich hin, er hatte immer noch seinen guten Anzug an.
„Ja, das ist wahr wie das Amen in der Kirche. Jetzt geht es den Engeln da oben gut. Und wir sitzen hier ...“
Mehr sagte Opa nicht.
Der Johannes aus der Bibel sieht und hört und sagt mehr: „Und Gott wird jede Träne abwischen von ihren Augen.“
Das ist schwer zu glauben. Das ist schwer zu glauben, wenn mich der Tod trennt von einem Herzensmenschen. Und dennoch wagen wir es immer wieder, darauf zu vertrauen.
Und Gott wird jede Träne abwischen von ihren Augen. Wir sehen, wie wirklich der Sarg und die Erde sind. Und stellen uns doch vor, wie wirklich der Himmel ist.
Wenn wir am Grab stehen, sagen wir öfter: Wir legen den Leib in die Erde, aber das Leben legen wir in Gottes Hände. Da ist das Leben gut aufgehoben, bei Gott.
Wir stellen uns vor, dass bei Gott zur Ruhe kommt, was unruhig war, dass heil wird, was zerbrochen war, dass hell und klar glänzt, was schön war.
Und Gott wird jede Träne abwischen von ihren Augen Wir fühlen auch, wie wirklich die Trauer und der Schmerz sind. Und stellen uns zugleich vor, wie wirklich der Trost ist.
Wir haben selber erfahren und erfahren es immer wieder: Es gibt Trost nur mit der Trauer. So geschäftig wir auch sind: Der Schmerz, dass einer oder eine fehlt, rührt uns immer an.
Wir haben aber auch selber erfahren und erfahren es immer wieder: In jeder Trauer geht ein Trost auf. So verzweifelt wir auch sind: Da ist eine Kraft, die die Seele streichelt, die das Lächeln ins Herz und ins Gesicht zurückbringt.
Und Gott wird jede Träne abwischen von ihren Augen. Bei denen, um die wir weinen. Bei euch und allen, die weinen.
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