Ich weiß ja doch

Mittendrin sind wir in der Passionszeit. In der Zeit, die vom Leiden erzählt. Zum Beispiel von Hiobs Leiden:

Meine engsten Freunde verabscheuen mich. Sogar diejenigen, die mir am liebsten sind, stehen mir feindselig gegenüber. Meine Haut klebt nur noch an den Knochen. Nur das nackte Leben ist mir noch geblieben. Habt Mitleid, habt Mitleid mit mir, ihr seid doch meine Freunde! Denn Gott hat mich mit diesem Unglück geschlagen. Warum verfolgt ihr mich, wie Gott es tut? Wann hört ihr endlich auf, mich zu zerfleischen? Ach, wenn ich mir doch wünschen könnte, dass meine Verteidigungsrede aufgeschrieben wird – wie bei einer Inschrift, die man in den Stein ritzt! Mit einem Meißel soll man sie in den Fels hauen und ihre Buchstaben mit Blei ausgießen. Ich weiß ja doch, dass mein Erlöser lebt. Als mein Anwalt wird er auf der Erde auftreten und zum Schluss meine Unschuld beweisen. Mit zerfetzter Haut stehe ich hier. Abgemagert bin ich bis auf die Knochen. Trotzdem werde ich Gott sehen. Ich werde ihn mit meinen Augen sehen, und er wird für mich kein Fremder sein. So wird es sein, auch wenn ich schon halb tot bin.

Wenn du mittendrin sitzt im Leid, so wie Hiob, dann kann es helfen, ein Lied zu singen.

1. Lobet den Herren alle, die ihn ehren; / lasst uns mit Freuden seinem Namen singen / und Preis und Dank zu seinem Altar bringen. / Lobet den Herren!

Wir stellen uns vor, dass Hiob das lange getan hat. Immer und immer wieder: Er hat Gott gelobt für all das Gute, das er ihm getan hat.

Manchmal hat er das wortwörtlich getan. Er hat Gottesdienst gefeiert. Weil es etwas zu feiern gab in seinem Leben. Die Geburt eines Kindes. Den Frühlingsanfang.

Da hat er sich sein Leben angeschaut und gelächelt und eine Träne verdrückt, weil es so schön war. Rund und erfüllt. Nichts fehlte. Alles war da und blühte auf.

Meistens freilich war der Alltag sein Gottesdienst. Er stand morgens auf und erledigte, was zu erledigen war. Dabei pfiff er ein fröhliches Lied vor sich hin.

Abends legte erst auf dem Sofa die Füße hoch und genoss das verdiente Feierabendbier. Dann legte er sich zufrieden in sein Bett und schlief einen ruhigen Schlaf.

2. Der unser Leben, das er uns gegeben, / in dieser Nacht so väterlich bedecket / und aus dem Schlaf uns fröhlich auferwecket: / Lobet den Herren!

Wir stellen uns vor, dass Hiob schon lange nicht mehr ruhig schläft. Er findet nicht hinein in den Schlaf. Die Gedanken wälzen ihn von links nach recht. Die Sorgen wecken ihn vor der Zeit.

Die Hiobsbotschaften hallen nach in der Nacht. Am Tag fressen sie alle anderen Gedanken auf. Sie sind ein ständiges Pfeifen in seinem Ohr.

Alles, was selbstverständlich war, steht in Frage. Wovon er leben wird. Wen er lieben kann. Worauf er vertrauen soll. Auf wen er sich verlassen darf.

Das Leben ist kein Geschenk mehr. Das Leben ist eine einzige Frage. Eine einzige Angst. Weil er jetzt merkt, wie einzig das Leben ist – und er es nicht halten kann.

Er würde es gern festhalten, aber es gleitet ihm durch die Hände. So wie ihm das Glück entglitten ist. Er dachte, es dauert ewig. Aber von einem Tag auf den anderen war es weg.

3. Dass unsre Sinnen wir noch brauchen können / und Händ und Füße, Zung und Lippen regen, / das haben wir zu danken seinem Segen. / Lobet den Herren!

Wir ahnen, wie Hiob an seinem Leben verzweifelt. Da ist kein Segen mehr. Nichts, dass ihm den Tag leicht und froh macht. Da ist nur noch Schwere und Dunkel.

Da sind auch lauter Fragen: Wieso? Warum? Fast kommt es ihm vor, als hätten der Teufel und Gott eine Wette darüber abgeschlossen, wie viel Leid er wohl erträgt.

Hiob verzweifelt auch an seinen Freunden. Die wissen nämlich, wo er die Antworten suchen soll auf seine Fragen: Bei sich selber.

Wenn du im Leid sitzt, lieber Hiob, dann lege die Finger in deine Wunden und frage dich, wie du sie dir zugefügt hast. Du weißt doch: Jeder ist ja seines Unglückes Schmied.

Aber für den, der im Leid sitzt, ist diese Rechnung ein Hohn auf seinen Schmerz. Nicht alles, was dir geschieht, ist eine Folge von dem, was du tust. Du bist nicht selber schuld, wenn etwas in dir wuchert, was dort nicht wachsen soll.

4. Dass Feuerflammen uns nicht allzusammen / mit unsern Häusern unversehns gefressen, / das macht’s, dass wir in seinem Schoß gesessen. / Lobet den Herren!

Wir ahnen, dass Hiob sich vertrieben vorkommt. Als habe Gott ihn aus seinem Schoß vertrieben. Als habe Gott ihn mit all dem Unglück geschlagen.

Aus dem, der die Hand zum Segen hebt, ist einer geworden, der die Hand zum Schlag hebt. Aus dem, der wie ein Freund mitgeht, ist einer geworden, der wie ein Feind verfolgt.

Als habe Gott zwei Gesichter: ein freundliches und ein grimmiges, ein liebevolles und ein hasserfülltes. Als könne Gott sich zuwenden und abwenden, wie es ihm gefällt.

Aber so ist es ja, wenn du alles von Gott erwartest und erhoffst für dein Leben, und dann nicht kommt, was du von ihm erhoffst und erwartest.

So ist es ja: Entweder ist Gott dann zu klein, um dir zu geben, was du brauchst und du dir wünschst. Oder er schickt dir mit Absicht, was dir weh tut und Leid zufügt.

5. Dass Dieb und Räuber unser Gut und Leiber / nicht angetast’ und grausamlich verletzet, / dawider hat sein Engel sich gesetzet. / Lobet den Herren!

Wir staunen, dass Hiob sich dennoch nicht ganz auflöst. Das Leid zerschlägt ihn nicht ganz. Die Verzweiflung schwemmt ihn nicht ganz fort.

Hiob verteidigt sich und sein Leben. Er zieht sich zurück in einen Wehrturm, der hoch ist und von dicken Mauern umgeben. Die soll der Feind nicht einnehmen.

Er verschanzt sich in seiner trotzigen Liebe zum Leben. Die soll, die kann ihm keiner nehmen. Auch wenn das Schicksal auf sein Leben einschlägt.

Selbst im Schmerz pulsiert das Leben. Im Pochen spürt er sein Herz. Stark und rot. Das pumpt ohne Unterlass ein Dennoch in die Verzweiflung.

Die Liebe zum Leben erträgt alles. Sie glaubt alles. Sie hofft alles. Sie hält allem stand. Sie hört niemals auf. Bis das Leid und der Schmerz aufgeben. Solange hält die Liebe aus. Und noch ein bisschen länger.

6. O treuer Hüter, Brunnen aller Güter, / ach lass doch ferner über unser Leben / bei Tag und Nacht dein Huld und Güte schweben. / Lobet den Herren!

Wir staunen, dass Hiob sich an dem festhält, was er weiß. Als würde er nach einem Strohhalm greifen – und als er mit letzter Kraft zupackt, ist es ein Balken.

Hiob sagt: Ich weiß ja doch, dass mein Erlöser lebt. Er sagt nicht: Ich hoffe. Auch nicht: Ich glaube. Und auch nicht: Ich vertraue. Er sagt: Ich weiß ja doch.

Wir würden gern wissen, wie Hiob das macht, dass er es weiß. Damit wir wie er dem Leid und dem Schmerz entgegen halten können: Wir wissen ja doch, dass unser Erlöser lebt.

Vielleicht ist es so, dass du selber im Leid sitzen musst, so wie Hiob. In einem Leid, von dem du nicht weißt, woher es kommt und wohin es dich führt.

Vielleicht geschieht es dir dann recht, dass du mitten im Schmerz noch etwas anderes spürst: Dass du getragen wirst. Dass einer dich hält. Dass Gott dich sieht.

Dietrich Bonhoeffer hat in seinem Leid und seinem Schmerz aufgeschrieben: "Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.

Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein."

7. Gib, dass wir heute, Herr, durch dein Geleite / auf unsern Wegen unverhindert gehen / und überall in deiner Gnade stehen. / Lobet den Herren!

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