Wo Glaube vielleicht anfängt

Wir beginnen mit dem Ende. Mit dem Ende der Predigt vom letzten Sonntag. Da zitierten wir Dietrich Bonhoeffer. Der schrieb 1934: Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.

Er schrieb und wir sagten: Gott gibt diese Kraft nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.

Wenn wir könnten, würden wir Bonhoeffer ja gern fragen, ob er diesen Glauben hat. Den Glauben, der alle Angst vor der Zukunft überwindet.

Mit dem, was er schreibt, bewegt er sich ja dazwischen: Zwischen der Angst und dem Glauben. Zwischen der Furcht vor dem, was kommt, und dem Vertrauen auf den, der da ist.

Als wären beide wirklich. Die Angst und der Glaube. Die Angst, die mich zittern lässt, weil ich nicht weiß, wie alles werden soll. Der Glaube, der mich ruhig macht, weil ich vertraue, dass es gut wird.

Als würden beide in mir kämpfen. Mal singt der Glaube sein fröhliches Lied und lacht dem Tag entgegen. Mal raunt die Angst ihre düsteren Ahnungen und zieht die Bettdecke über den Kopf.

Als würden beide um mich kämpfen und versuchen, mich auf ihre Seite zu ziehen. Die Angst zerrt mich dorthin, der Glaube lockt mich hierhin. Aber wer hat ihn: den Glauben, der alle Angst vor der Zukunft überwunden hat?

Im Brief an die Hebräer heißt es: „Wir wollen den Blick auf Jesus richten. Er ist uns im Glauben vorausgegangen und wird ihn auch zur Vollendung führen.“

Also schauen wir auf Jesus. Wir sehen, wie er auf dem Esel nach Jerusalem reitet. Jetzt, in diesem Augenblick, lässt ihn die Menge begeistert als den König ihrer Herzen hochleben.

Sie ruft: „Gesegnet sei, wer im Namen des Herrn kommt!“ Vielleicht tut es ihm gut, diese Rufe zu hören. Vielleicht tut das seinem Glauben gut.

Glauben hat ja auch etwas damit zu tun, dass andere an dich glauben. Natürlich, weil es der Seele schmeichelt, wenn andere dich gut finden und es dir auch noch sagen.

Wenn andere an mich glauben, dann ist es auch ein wenig so, dass sie für mich glauben. Sie vertrauen für mich, dass mein Leben gut ist und gut wird. Das hilft mir, selber darauf zu vertrauen.

Es ist ein Segen, wenn dir andere sagen: Du bist gesegnet. Weil du dann besser spüren und vertrauen kannst, dass auf dem, was du tust und wer du bist, ein Segen liegt.

Aber, ach, dieser Segen wirkt so flüchtig wie der Jubel, mit dem die Menge Jesus in Jerusalem begrüßt. Wir wissen doch, dass sie Jesus gleich wieder fallen lässt und ein paar Tage darauf ebenso begeistert zuschaut, wie er hingerichtet wird.

Wir wissen das ja immer schon, wenn wir die Geschichte hören, wie Jesus nach Jerusalem kommt. Deswegen stellen wir uns vor, dass wohl die Menge jubelt – aber Jesus still ist.

Still und nachdenklich und wohl auch ängstlich. Weil wir davon ausgehen, dass Jesus schon weiß, was wir wissen. Dass er schon weiß, was ihn erwartet.

Er hört schon die Rufe: Kreuzige ihn! Er sieht schon, wie die Freunde sich verstecken. Er spürt schon die Schläge auf der Haut und den Spott auf der Seele brennen.

Angst, heißt es, habe man nur vor dem Unbekannten, wenn man nicht weiß, was auf einen zukommt. Wenn man aber weiß, was einen erwartet, fürchtet man sich nur.

Wenn du das erste Mal einen Film siehst, erschrickst du noch, wenn plötzlich das Monster aus dem Dunkel springt. Wenn du den Film dann das zweite Mal siehst, …

… halte ich mir dennoch und erst recht die Hände vor die Augen. Genauso wie die Angst vor dem dunklen Keller bleibt, auch wenn ich noch weiß, wo sich der Lichtschalter befindet.

Angst und Furcht, heißt es, sind Fluchtreflexe. Vor dem, was uns ängstigt, wollen und sollen wir fliehen – um uns und unser Leben zu retten.

Warum eigentlich ist Jesus nicht davon gelaufen vor dem, was ihn erwartete? Wenn wir die Geschichte hören, wie Jesus in Jerusalem einzieht und die Menge ihm zujubelt, wissen wir ja immer schon, wie sie endet: Am Kreuz.

Im Hebräerbrief heißt es: „Jesus hat das Kreuz auf sich genommen und der Schande keine Beachtung geschenkt. Dies tat er wegen der großen Freude, die vor ihm lag: Er sitzt auf der rechten Seite von Gottes Thron.“

Ja, sagt der Hebräerbrief, ihr habt schon recht: Nach dem Jubel kommt das Kreuz. Aber die Geschichte geht ja noch weiter. Auf das Kreuz folgt die Freude.

Wir wissen nicht, woran es liegt: Aber die Fortsetzung vergessen wir oft. Irgendwie können wir nicht weiter denken als bis zum Kreuz. Zumindest nicht gleich und sofort.

Das Kreuz ist für uns immer wieder und immer noch das Ende einer Sackgasse. Ohne Wendemöglichkeit, die zurück führt. Und ohne Ausweg, der hindurch führt.

So wie das ja auch mit der Angst ist, wenn du erst einmal in ihr feststeckst. Da kannst du nicht einfach umdrehen und ihr den Rücken zukehren. Und ein Schlupfloch durch sie hindurch, das siehst du auch nicht.

Wenn ich schon wüsste, wie ich aus der Angst herauskomme, hätte ich sie gar nicht erst. Aber weil ich es nicht weiß, hat sie mich erst einmal fest im Griff.

Deshalb schauen wir aufs Kreuz. Weil es uns in unserer Angst hilft, wenn wir da einen sehen, von dem wir denken: Der kennt sie doch, unsere Furcht. Der muss sie doch kennen, die Todesangst.

Im Hebräerbrief heißt es: „Denkt doch nur daran, welche Anfeindungen Jesus durch die Sünder ertragen hat. Dann werdet ihr nicht müde werden und nicht den Mut verlieren.“

Vielleicht fängt Glaube ja genau da an: Wenn ich mitten in meiner Angst bin. Und entdecke, dass ich nicht allein bin mit meiner Angst.

Da fängt Glaube vielleicht an: Wenn ich weiter denken kann als bis zu meiner Angst. Wenn ich die Hände von den Augen nehme und Jesus an meiner Seite entdecke.

In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Das hat Dietrich Bonhoeffer 1934 geschrieben. Zehn Jahre später sitzt er als politischer Gefangener in Berlin im Gefängnis

Bonhoeffer schreibt dort: Wer bin ich? Sie sagen mir, ich träte aus meiner Zelle gelassen und heiter und fest wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.

Er wirkt, als habe der Glaube die Angst besiegt. Als wäre er von guten Mächten wunderbar geborgen und würde getrost erwarten, was kommen mag.

Er schreibt aber auch: Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig?

Er weiß von sich selber, wie dunkel die Angst ist und dass es nur einen Luftzug braucht, damit der Glaube erlischt und alle Hoffnung sich auflöst.

Aber vielleicht fängt Glaube ja da an: Wo ich der Angst trotze, dass alles nichts hilft. Wo ich darauf setze, dass einer mir hilft. Bonhoeffer schreibt: Wer ich auch bin, du kennst mich, dein bin ich, o Gott!

Im Hebräerbrief heißt es: „Der Glaube ist ein Festhalten an dem, worauf man hofft – ein Überzeugtsein von Dingen, die nicht sichtbar sind.“ 

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