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Noch eine Brücke

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Ich sehe noch eine Brücke. Sie führt vom Strand hinaus aufs Meer. Ich betrete die Holzplanken, die sich zu einem Steg zusammenfügen. Ich merke, wie sich die Brücke bewegt. Es gluckst und spritzt. Die Brücke schwimmt auf dem Wasser. Sie senkt sich unter meinen Schritten. Und sie hebt sich im Rhythmus der Wellen, die mir unter den Planken entgegenlaufen. Ich gehe ein paar Schritte hinaus auf die Brücke. Ich werde sicherer. Die Schritte gewöhnen sich an das Schwanken. Ich bleibe stehen und schaue mich um. Der Strand bleibt hinter mir. Aber etwas hält mich davon ab, mich umzudrehen und zurückzukehren. Ich gehe weiter hinaus und immer weiter. Ich schaue nach vorn. Dass Meer weitet sich vor meinem Blick. Und in diesem Meer läuft die Linie aus Holzplanken weiter und weiter. Ein Ende ist nicht zu sehen. Weder ein Ende des Meeres noch ein Ende der Brücke. Beide laufen bis zum Horizont. Und ich mit ihnen bis dorthin. Und hinterm Horizont geht’s weiter. Auch diese Brücke trä...

Zwillinge

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Paul hatte es gut getroffen. Schon von Kindheit an. In der Schule war er immer etwas schneller als die anderen. Das Lernen fiel ihm leicht. Was ihm einmal erklärt wurde, verstand er, und was er einmal gehört oder gelesen hatte, konnte er sich merken. Das blieb auch im Studium so. Ingenieur für Luftfahrttechnik studierte er. Und nebenher – weil ihm das eine Fach zu einseitig schien – schrieb er sich auch für Philosophie ein. Schon beim ersten Praktikum in diesem mittelständischen Familienunternehmen wurden sie auf ihn aufmerksam: Da war einer, der schnell verstand. Der Lösungen suchte, wo andere noch nicht einmal das Problem gesehen hatten. Und obwohl es nur ein Praktikum war, kam er immer als einer der ersten und blieb, bis sie die Firma abschlossen. Keine Überraschung für ihn, dass der Seniorchef ihn umwarb, als sein Studium auf das Ende zuging. Nur der Jahresverdienst, den sie ihm anboten, erstaunte ihn: Er übertraf seine Erwartungen bei weitem. Aber er wehrte sic...

Dieses Ende ist auch ein Anfang

Eigentlich ist dieser Morgen viel zu klar und zu hell für den Tag heute. Eigentlich müsste er grau und trüb sein. So wie sich der November eben in der Regel zeigt: Kahl und verhangen. Die Natur zieht sich zurück, die feuchte Kälte kriecht in die Knochen. Der November – er stößt darauf, wie vergänglich das Leben ist. Er führt Ihre Wege heute hierher. An die Gräber derer, von denen Sie sich hier in der Kirche verabschieden mussten. Dieser Weg ist ein schwerer Weg. Es schmerzt, mich an das Sterben und den Tod eines Menschen zu erinnern, den ich verloren habe. Egal, ob der Abschied nun erst ein paar Wochen zurückliegt, einige Monate oder gar schon Jahrzehnte. Ob die Wunden schon vernarbt sind oder noch ganz frisch: Es macht neu und wieder traurig, dass er, der mir lieb war, nicht mehr bei mir ist; dass sie, die zu mir gehörte, mir fehlt. Es gibt Menschen, die vor dem grauen November hier an der Nordsee fliehen. Wie Zugvögel machen sie sich in den Süden auf, um ein wenig Wärme und Licht zu ...

"Ich befehle dir: Steh auf!"

„Weicht ihr Trauergeister, denn mein Freudenmeister, Jesus, tritt herein.“ Ich finde das eine wunderbare Verszeile aus dem Lied "Jesu meine Freude" (Evangelisches Gesangbuch Nr. 396) – mit einer kraftvollen Melodie dazu. Diese sechste Strophe ist wie gemacht dafür, sie mit ganzer Kraft zu singen und von ganzem Gemüt. So laut, dass die Trauergeister sich tatsächlich erschrecken und abziehen. Und so innig, dass ich es wahrhaft glaube: Jesus kommt und alles wird anders. Das Lied wird so zu einem Protestsong. Ich singe es und stemme mich mit aller Macht gegen das, was das Leben niederhalten will. Ich singe es gegen all das, was mir Schmerzen bereitet und Leid bringt. Ich singe es vor allem und immer wieder gegen den Tod. Denn er ist es ja, der letztlich hinter dem Leid steht und den Schmerzen. Der Tod schickt immer wieder seine Boten in mein Leben. Ob er nun an meiner Gesundheit knappst oder ich mir Sorgen um einen lieben Menschen machen muss. Ob ich den Tod und seine Schrecken i...