Nachwirkungen

Wirkt bei Ihnen der Ostersonntag noch nach? Bei mir tut er es: Ich bin immer noch müde. Die Stunde Schlaf, die uns die Zeitumstellung geklaut hat, fehlt mir immer noch. Ich habe es noch nicht geschafft, mich umzustellen: Abends komme ich nicht rechtzeitig ins Bett. Dafür klingelt morgens der Wecker eine Stunde zu früh.
Ich finde das ein merkwürdiges Zusammentreffen: Das Fest der Auferstehung macht sich darin bemerkbar, dass ich andauernd müde bin. Eigentlich wäre ja zu erwarten, dass das Fest der Auferstehung mich aufweckt.
Aber damit bin ich in gar nicht so schlechter Gesellschaft. Das geht anderen auch so, dass Ostern sich anders auswirkt als gedacht. Die Ostergeschichten erzählen vor allem davon: Wie die Auferstehung falsch ankommt.
Der zweifelnde Thomas ist ein Beispiel dafür. Was ihm seine Freunde erzählen, das löst bei ihm keine Osterfreude aus, sondern Osterzweifel. Wie soll das auch wahr sein? Dass Jesus auferstanden ist? Nur vom Hörensagen kann er das nicht annehmen. Er muss die eigenen Finger in die Wunde legen. Dann kann er vertrauen. Ich beneide Thomas. Nicht um seine Zweifel. Die habe ich auch. Sondern darum, dass Jesus sie ihm nimmt. Wie sagt er doch: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“
Bei Thomas also kommen Osterzweifel vor der Osterfreude. Aber es geht noch gegensätzlicher: Osterschrecken statt Osterfreude.
Davon erzählt die Ostergeschichte im Markusevangelium: Drei Frauen laufen zum Grab, beladen mit Trauer und duftenden Ölen. Die Schritte schwer, die Stimmen mutlos. Am Grab begegnen sie einem jungen Mann in einem weißen Gewand. „Gott hat Jesus vom Tod auferweckt!“, sagt der ihnen. Er schickt sie zurück zu den Freunden. Die Frauen laufen, sie rennen. Aber nicht die Freude verleiht ihnen Flügel – der Schrecken lässt sie fliehen.
„Da flohen die Frauen aus dem Grab und liefen davon. Sie zitterten vor Angst und sagten niemandem etwas, so sehr fürchteten sie sich“ (Mk 16,8).
So endet die Ostergeschichte, wie das Markusevangelium sie erzählt. Das war tatsächlich ursprünglich der letzte Satz: „Sie zitterten vor Angst und sagten niemandem etwas, so sehr fürchteten sie sich.“
Kein happy end. Sondern ein Ende mit Schrecken. Kann eine gute Geschichte so enden? Im Schrecken? Ich finde schon. Da fuhr der Schrecken in die Knochen, sagt man ja. Und: Der Schrecken sitzt tief.
Das gilt für das, was die drei Frauen am Grab erleben: Es fährt ihnen in die Knochen, so dass es ganz tief in ihnen sitzt. Nur deshalb kann es solch eine Kraft entwickeln. Nur deshalb können sie es nicht gleich wieder abschütteln. Sie haben im Schrecken mit Leib und Seele erfahren, dass etwas anders geworden ist. Deshalb wirkt es nach.
Ja, das Evangelium kann schon so enden, im Schrecken. Es stellt sich nur die Frage: Wie geht die Geschichte weiter? Wie wirkt das nach, was die Frauen erlebten? Das fragten auch die Menschen, die sich das Markusevangelium weitergaben: Wie geht es weiter? Und sie setzten hinter das ursprüngliche Ende noch einen Nachspann. Der beginnt so:

Früh am ersten Wochentag war Jesus vom Tod auferstanden. Zuerst zeigte er sich Maria aus Magdala, die er von sieben Dämonen befreit hatte. Sie machte sich auf den Weg und erzählte es seinen Freunden, die mit ihm zusammen gewesen waren und jetzt trauerten und weinten. Sie konnten nicht glauben, was sie von Maria hörten: "Jesus lebt! Ich habe ihn gesehen." (Mk 16,9-11)

Der Nachspann erinnert an eine Geschichte, die wir aus dem Johannesevangelium kennen.
Wir begegnen am Grab Maria von Magdala. Das Johannesevangelium erzählt, wie sie in der Grabkammer zwei Engel sieht. „Warum weinst du?“, fragen sie die Engel. Das fragt sie auch Jesus, der auf einmal hinter ihr steht. „Warum weinst du?“ Sie hält ihn für den Gärtner. Er spricht sie mit ihrem Namen an. Da weiß sie, dass er es ist. „Du hast mich bei meinem Namen gerufen. Ich gehöre zu dir!“ Aber Jesus sagt: „Halte mich nicht fest!“ Was sie erlebt, sagt sie seinen und ihren Freunden weiter. Das Johannesevangelium erzählt nichts davon, ob die ihr glauben. Aber der Nachspann zum Markusevangelium ist sich sicher: Sie glauben ihr nicht.

Und der Nachspann erzählt weiter:
Danach zeigte sich Jesus in einer fremden Gestalt zwei von ihnen, als sie auf dem Land unterwegs waren. Da kehrten sie um und erzählten es auch den anderen. Aber auch ihnen glaubten sie nicht. (Mk 16,12f.)

Wieder erinnert der Nachspann, jetzt an eine Geschichte aus dem Lukasevangelium: Zwei Freunde sind auf dem Weg nach Emmaus und begegnen einem Fremden. Er scheint nichts von Jesus zu wissen. Also erzählen sie ihm, was sie erlebten. Und er öffnet ihnen die Augen für das, was der tiefere Sinn in dem allen war. Schließlich, als er mit ihnen das Brot teilt, öffnen sich auch ihre Herzen: Sie erkennen, dass der Fremde Jesus selbst es ist. Er lebt. Aber kaum haben sie den Gedanken gedacht, sind sie wieder allein. Sie können ihn nicht festhalten.
Das Lukasevangelium erzählt, dass sie nach Jerusalem zurückeilen. Als sie dort eintreffen, herrscht schon Osterfreude. Der Nachspann zum Markusevangelium sagt anderes: Die Freunde in Jerusalem glauben ihnen nicht. Zum Glauben brauchen sie Jesus.

So erzählt das Markusevangelium weiter:
Schließlich zeigte Jesus sich den elf Jüngern, als sie gerade zum Essen am Tisch lagen. Er warf ihnen vor, dass sie nicht geglaubt hatten und uneinsichtig gewesen waren: Sie wollten denen nicht glauben, die ihn nach seiner Auferstehung gesehen hatten. (Mk 16,14)

Auch dieser Teil des Nachspanns erinnert. Es ist mit allen Elfen wie es im Johannesevangelium mit Thomas allein ist: Jesus schimpft sie aus, weil sie nicht glauben können. Er muss sich ihnen zeigen. Dann allerdings glauben sie. Was ihnen eine Frau erzählt, das können sie nicht glauben. Eine Frau ist keine glaubhafte Zeugin. Damals jedenfalls. Auch was ihnen die zwei Freunde berichten – vor Gericht immerhin eine belastbare Zeugenaussage –, das können sie nicht glauben. Sie glauben nur, was sie sehen. Aber Gott sei Dank: Sie sehen Jesus – und sie glauben an ihn. Endlich glauben sie an ihn, an den Auferstandenen. Sie glauben die Gute Nachricht, weil sie sie mit Jesus selber erleben. Und sie sollen sie weitersagen.

So erzählt es der Nachspann zum Markusevangelium weiter:
Und Jesus sagte zu den elf Jüngern: "Geht in die ganze Welt hinaus. Verkündet allen Menschen die Gute Nachricht.“ (Mk 16,15)

Die Kette setzt sich fort. Jesus schickt die Jünger los, um von dem zu erzählen, was sie mit ihm erlebt haben. Sie sollen die Gute Nachricht weitersagen. Gott ist stärker als der Tod. Sie sollen die Osterfreude in die Welt tragen, die ihre Herzen ausfüllt. Gott verändert das Leben.
Doch sie werden auf wenig Begeisterung stoßen. Es wird ihnen so ergehen, wie es eben noch Maria und den beiden Freunden aus Emmaus mit ihnen erging: Die Menschen werden ihnen die Gute Nachricht nicht abnehmen. Sie werden gegen eine Wand aus Osterzweifel laufen.
Aber vielleicht werden sie ja Verständnis für die Osterzweifel haben, weil sie die selber kennen. Vielleicht werden sie – anders als Jesus – die Zweifler nicht ausschimpfen, weil denen der Glauben fehlt. Ich wünsche mir das jedenfalls. Denn sie sollten doch eigentlich etwas davon verstanden haben, woher die Osterzweifel und die Osterfreude kommen.

Mir jedenfalls schließt der Nachspann zum Markusevangelium etwas auf über die Zweifel und den Glauben an Ostern.
Wenn mir einer sagt: „Der Herr ist auferstanden!“ - dann ist die erste Reaktion: Zweifel. Wie soll es das geben? Wie soll ich mir das vorstellen: Dass Jesus, der tot war, aufersteht? Dass Gott stärker ist als der Tod? Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich kann es mir schon gar nicht erklären, anderen noch viel weniger. So wie die Frauen am Grab erschrecken, so wie Thomas es nicht glauben will, so wie die Jünger nicht auf Maria und die Freunde aus Emmaus hören können. Auferstehung – das ist so unvorstellbar, dass ich es vom Hörensagen nicht glauben kann.
Ich muss es erleben, ich muss sie erleben. Jesus muss mich beim Namen rufen wie die Maria aus Magdala. Er muss für mich das Brot brechen, wie er es für die Freunde aus Emmaus tut. Ich muss meine Finger in seine Wunde legen können wie Thomas. Er muss mir erscheinen wie den Jüngern in Jerusalem. Dann kann ich sagen: „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden, Halleluja!“
Damit aus meinen Osterzweifeln die reine Osterfreude wird, brauche ich ein wunderbares Ostererlebnis. Ich muss sehen und spüren, wie sich etwas ändert in meinem Leben. Ich muss sehen und spüren, dass Gott stärker ist als der Tod.
Die Gute Nachricht kann ich nur glauben, wenn sie Teil meines eigenen Lebens wird. Ich muss selber Teil der großen Ostergeschichte werden.

Vielleicht, hoffentlich haben Sie ein Erlebnis, das Sie erzählen können: Ihr Ostererlebnis, das Ihnen den Glauben an die Auferstehung aufschließt. Eine Geschichte aus Ihrem Leben oder aus dem Leben eines Menschen, dem Sie nahe sind. Eine Geschichte, die davon erzählt, dass Gott stärker ist als der Tod. Dass er mein Leben verändert. Dass Ostern nicht nur damals geschah, sondern heute immer wieder geschieht.
Da ist die junge, schwangere Frau. Sie weiß: Das Kind, das sie unterm Herzen trägt, ist krank. Es kann sein, dass sie es verliert. Tatsächlich: Das Kind stirbt in ihrem Leib. Aber in dem Augenblick, als es stirbt, weiß sie: Es geht zu Gott. Sie weiß: Es lebt bei Gott. Das ist ihre Ostergeschichte, die sie erzählt.
Deshalb feiern wir heute immer noch Ostern: Weil Ostern nachwirkt. Weil immer noch und immer wieder Menschen erfahren: Es ist so. Gott ist stärker als der Tod.
Die Jünger damals erfuhren das, erzählt der Nachspann zum Markusevangelium.

Er schließt mit dem wirklich allerletzten Satz:
„Und die elf Jünger zogen los und verkündeten überall die Gute Nachricht. Der Herr war mit ihnen am Werk und bestätigte ihre Worte durch viele wunderbare Zeichen.“ (Mk 16,20)

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