Wenn er einzieht

Das Warten hat jetzt endlich – einen Anfang. Alles ist vorbereitet für den Advent. Die erste Kerze brennt am Adventskranz. Der Herrnhuter Stern strahlt. Auch bei Ihnen zu Hause wird sich wohl spätestens heute der Advent ausbreiten – wenn er nicht schon in der Woche begonnen hat.
Die selbst gebackenen Kekse warten auf den Adventstee. Die Adventskalender locken mit den noch verschlossenen Türchen. Die Sterne und Engel an den Fensterscheiben, die Lichtergirlanden an den Häusern künden vom Advent.
Jetzt also kann das Warten beginnen – denn das ist er ja, der Advent: Eine Zeit des Wartens.

Eine Zeit des Wartens – worauf eigentlich? Worauf warten Sie im Advent? Was erwarten Sie vom Advent?
Wir wünschen uns ja gern einen besinnlichen Advent, in dem wir ein wenig zur Ruhe kommen, die Zeit genießen – und wissen doch, dass der Advent auch den Stress der zahllosen Adventsfeiern und die Vorweihnachtshektik bringt.
Vielleicht sehnen wir uns auch nach einem friedlichen Advent, der uns schöne Stunden mit der Familie, nette Gespräche mit Freunden bringt – gerade weil wir erfahren, dass im Advent die Spannungen in der Familie manchmal noch stärker werden und auch jetzt ein Streit sich nicht leichter lösen lässt.
Vielleicht hoffen wir auch auf den Glanz des Advents und seiner Lichter – denn da ist genug Dunkles: Sorgen, was das Morgen bringt; Schuld, die mich aus dem Gestern einholt.
Und vielleicht drängt sich in uns alles danach, dass sich ein Gefühl tiefer, ja: seliger Freude ausbreitet – einer Freude, die alles Verzagen und Zweifeln und Fragen und Grübeln weglacht.
So warten wir denn darauf, dass im Advent, mitten in unserem Alltag, etwas Neues, etwas Wunderbares geschieht.
Davon dass sich etwas Wunderbares erfüllt, erzählt die Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem.

Kurz vor Jerusalem kamen Jesus und seine Jünger nach Betfage am Ölberg. Da schickte Jesus zwei seiner Jünger voraus und sagte zu ihnen:
"Geht in das Dorf, das vor euch liegt. Dort findet ihr gleich eine Eselin angebunden zusammen mit ihrem Jungen. Bindet sie los und bringt sie mir. Und wenn euch jemand fragt: 'Was soll das?', dann sagt: 'Der Herr braucht sie.' Und er wird sie euch sofort geben."
So ging in Erfüllung, was Gott durch den Propheten gesagt hat: "Sagt zu der Tochter Zion: 'Sieh doch: Dein König kommt zu dir! Von Herzen freundlich ist er. Er reitet auf einem Esel, einem jungen Esel – dem Sohn eines Lasttiers.'"

(Matthäusevangelium 21,1-5 -- www.basisbibel.de)

Es sind schon zu seiner Zeit sehr alte Worte, die Matthäus zitiert, Worte des Propheten Sacharja. Es sind Worte einer alten Verheißung, von der Gott seine Menschen träumen lässt.
Es wird ein König des Friedens kommen, der seine Macht allein von Gott hat. Statt hoch zu Ross, kommt er auf einem Esel. Es ist ein armer König, denn der Esel, das ist das Lasttier und Reittier der armen Leute. Es ist ein friedfertiger König, denn mit einem Esel lässt sich kein Krieg führen. Und es ist auch ein würdevoller König, denn der Esel, das war das Reittier der Könige aus vergangenen Zeiten.
Dieser König, so verkündete Sacharja, „wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.“
Es wird eine Herrschaft sein, die sich den Menschen zuwendet. Denn ein armer, einfacher König übt sie aus. Es wird eine Herrschaft sein, die Frieden stiftet, weil sie zur Gewalt nicht fähig ist. Und es wird eine vollmächtige Herrschaft sein, die von Gott kündet, denn sie kommt von ihm. Der König, das ist Gottes Gesandter – das ist der Messias.
So lässt Sacharja sein Volk träumen – und Matthäus, der sieht den Traum erfüllt: In Jesus zieht in Jerusalem der König ein, der allein von Gottes Gnaden König ist.
Jesus, ist es, der sich Menschen zuwendet, denen das volle Menschsein abgesprochen wird – den Kranken, Ausgestoßenen, Fremden –, und der sie so in aller Augen und mit Gottes Vollmacht zu ganzen Menschen macht.
Jesus ist es auch, der Frieden bringt, weil er die Blickrichtung ändert: Es kommt nicht auf das an, was für mich wichtig und was mein Recht ist – es zählt vor allem das, was den anderen ins Recht setzt und für ihn gut ist.
Und Jesus ist es auch, der die Menschen Gottes Segen spüren lässt: Augen und Ohren tun sich auf, Herzen öffnen sich, Hunger nach Leben, Durst nach Liebe werden gestillt.
So also erfüllt sich eine alte Verheißung, sagt Matthäus.

Und die Menschen? Wie empfangen die Menschen den König, der all ihre Träume erfüllt?

Die Jünger gingen los und machten alles genau so, wie Jesus es ihnen aufgetragen hatte. Sie brachten die Eselin und ihr Junges herbei und legten ihre Mäntel auf seinen Rücken. Und Jesus setzte sich darauf.
Und die große Volksmenge breitete ihre Mäntel als Teppich auf der Straße aus. Andere brachen Zweige von den Bäumen ab und legten sie ebenfalls auf die Straße.
Die Volksmenge, die vor Jesus herging und die nach ihm kam,
rief immer wieder: "Hosanna dem Sohn Davids! Stimmt ein in unser Loblied auf den, der im Namen des Herrn kommt!
Hosanna in himmlischer Höhe!"
So zog Jesus in Jerusalem ein. Die ganze Stadt geriet in Aufregung. Die Leute fragten sich: "Wer ist er nur?"
Die Volksmenge sagte: "Das ist Jesus, der Prophet aus Nazaret in Galiläa."

(Matthäusevangelium 21,6-11 -- www.basisbibel.de)

Was für ein Einzug, den die Menschen Jesus bereiten. Ein Einzug voller Freude und Begeisterung. Ein Triumphzug für den König, der von Gott kommt und all seine Versprechen erfüllt.
Die Jünger tragen das Ihre zum Einzug bei. Sie führen Jesu Auftrag aus und holen den Esel. Und sie tun noch mehr: Vielleicht damit es nicht ganz so ärmlich aussieht, wenn Jesus auf dem Esel reitet, legen sie ihre Kleider auf den Rücken des Tieres. Sie strahlen Ruhe aus.
Dafür, dass es schön aussieht, sorgt auch eine sehr große Menge Menschen. Sie breitet vor Jesus einen Teppich aus – keinen roten, aber einen bunten aus Kleidern und Zweigen. So bereitet die Menge Jesus den Weg, dass er nicht durch den Staub reiten muss.
Er kann einziehen – wie ein König. Die Menge begleitet Jesus auf seinem Weg. Sie geht ihm voran. Sie kündet sein Kommen an und fordert von allen alle Aufmerksamkeit für ihn ein.
Und die Menge geht hinter Jesus her: Sie will dort sein, wo er hingeht. Sie folgt sein Spuren, sie ist sein Geleit. Sie will Teil seines Glanzes werden.
Und die Menge schreit laut, fast scheint sie außer sich zu geraten. Ganz berauscht von dem, was mit Jesus und um sie geschieht. Sie schreit aus vollem Halse: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Die Menge ist voller Freude, keiner kann sich ihr entziehen.

So erzählt es Matthäus: Etwas Neues, etwas Wunderbares geschieht. Gott erfüllt sein Versprechen. Der Friedenskönig, der Messias, Jesus zieht in Jerusalem ein.
Das, was Matthäus erzählt, steht am Anfang des Advents, wir hören die Geschichte jetzt, wo das Warten beginnt.
Sie erzählt uns vielleicht nicht, was wir vom Advent erwarten – aber sie erzählt uns, was uns im Advent erwartet, wen wir erwarten können – ab heute noch mehr als sonst.

So wie Jesus in Jerusalem einzieht, so könnte tatsächlich Gott einziehen – in unser Leben, in unseren Alltag, in den nächsten Wochen, für immer.
Gott könnte in mein Leben einziehen – und mit ihm die Besinnlichkeit, die ich mir wünsche. Denn wenn er einzieht: Dann findet mein Leben womöglich Ruhe, Ruhe in ihm. Dann ziehe ich aus seiner Nähe Kraft und Muße für den Alltag.
Vielleicht schaffe ich es ja, ihm ein wenig den Weg zu bereiten. Indem ich mir jeden Tag Zeit nehme für eine kleine Adventsgeschichte, die mir vom Kommen Gottes in die Welt erzählt.
Es gibt dazu – zum Beispiel – einen wunderbaren Kalender, der sich der „andere advent“ nennt. Bei uns hängt er seit heute in der Küche. Wenn wir an der Spüle stehen, haben wir den Kalender und seine hintergründigen Bilder und Texte im Blick.
Gott könnte in dein Leben einziehen – und dir den Frieden ermöglichen, nach dem du dich sehnst. Denn wenn er einzieht: Dann erfährst du, dass er liebevoll auf alle Menschen schaut, dass er liebevoll auf dich schaut.
Und vielleicht kannst du ihm auch hier ein wenig den Weg bereiten: Geh auf den Menschen zu, mit dem du im Streit liegst, obwohl er dir am Herzen liegt. Vielleicht findest du ja – mit Gottes Hilfe – die Geste, die einen Neuanfang schenkt.
Gott könnte in mein Leben einziehen – und seinen Glanz in mir ausbreiten. Denn wenn er einzieht: Dann sehe ich das Licht, das mir Mut macht in allen Sorgen, das mich versöhnt auf meine Schuld schauen lässt.
Und auch hier kann ich ihm den Weg bereiten. Vielleicht gelingt es mir ja im Gebet, Gott meine Sorgen in die Hände zu legen und meine Schuld anzuvertrauen – und darauf zu vertrauen, dass er sie mit mir, nein: für mich trägt.
Gott könnte in dein Leben einziehen – und das Gefühl seliger Freude tief in dich einpflanzen, dort wo es Wurzeln schlagen kann. Denn wenn er einzieht: Dann wächst in dir der Lebenbaum, dessen Früchte dein Verzagen und Zweifeln und Fragen und Grübeln immer wieder neu stillen.
Und auch hier kannst du ein wenig den Weg bereiten, indem du dich anstecken lässt von der Vorfreude. Du kannst zum Beispiel einfach dem rot-gelben Stern folgen, der ab morgen in unseren Dörfern aufscheint – immer dort wo der Lebendige Adventskalender gerade Station macht.
Da gibt es Abend für Abend ein leuchtendes Fenster und eine Adventsgeschichte zum Staunen, warme Getränke und Leckereien für den Leib und freundliche Menschen und nette Gespräche für die Seele.
Und so können wir denn darauf warten, dass im Advent, mitten in unserem Alltag, etwas Neues, etwas Wunderbares geschieht. Wir können warten und träumen: Gott kommt.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Fortsetzung folgt

Dreifach Gott begegnen

Herr, sag uns, wie wir beten sollen