Unterm Ginster auf der Schwelle
Johann Friedrich Overbeck, Der Engel weckt Elias |
Unter dem Ginster lag ich und schlief.
Ich schlief einen unruhigen Schlaf. Hin und her warf mich, was ich im
Schlaf erinnerte: Elija, das war dein Jahr.
Im
Schlaf holte mich ein, wovor ich gern weggelaufen wäre. Mich holte
ein, was aus den Tagen und Wochen und Monaten zuvor auf mir lastete.
Angst
war es, die wieder nach mir griff. Angst um mein Leben. Angst, dass
ich nicht schaffen würde, was ich schaffen musste.
Dazwischen
mischten sich andere Bilder. Ein Tag im Sonnenschein, der mich jubeln
ließ. Das Glück, das in mir pochte, als mich einer anschaute.
Im
Traum lächelte ich darüber und weinte zugleich – so flüchtig
waren diese Augenblicke und ohne Wiederkehr.
Und
ich träumte von dem, was mich immer noch fesselte, obwohl es doch
vorbei war: Als ich eine verletzt hatte, mit dem, was ich sagte, im
Eifer, ohne Absicht – aber auch ohne Möglichkeit, es
zurückzuholen.
Und
als ich meine Hand zurückzog, nach der sich einer ausstreckte. Ich
war ihm etwas schuldig geblieben – und konnte es ihm nun nicht mehr
geben.
Unter
dem Ginster lag ich und schlief. Und wusste, dass ich am morgen
genauso müde aufwachen würde, wie ich mich am Abend hingelegt
hatte.
Zwischen
den Jahren sind wir. Auf der Schwelle vom Alten zum Neuen. Als wären
wir auf einer Insel – im Meer aus Zeit.
Es
ist eine Zeit, die frei ist vom Alltag. Du bist fernab von dem, was
sonst deine Tage bestimmt.
Und
doch: Hier und da holt dich der abgelegte Alltag ein. Das, was du
erlebt hast, schleicht sich ein.
Es
taucht mit den Jahresrückblicken in all den Medien auf: Wie sieht
eigentlich mein eigener Blick zurück aus? Während all das Große in
der weiten Welt geschah: Was ist da in meiner eigenen Welt geschehen?
Auch
ohne Sterne und Steine in meiner Hand kommt das Erlebte noch einmal
zurück als Erinnerung.
Das
Schwere legt sich noch einmal quer. Ich dachte schon, ich hätte es
hinter mir gelassen. Aber es ist noch da und lastet auf dem
Gedächtnis.
Auch
das Funkelnde strahlt noch einmal auf. Ein Lächeln ruft es in mein
Gesicht – vielleicht ein wehmütiges: Wenn es doch immer so schön
sein könnte.
Was
gewesen ist – ich nehme es mit über die Jahresschwelle. Es ist
auch morgen noch da. Ich bin es ja auch.
Unter
dem Ginster lag ich und schlief. Da berührte mich ein Engel.
„Elija“, sagte er zu mir, „steh auf und iss! Ich schenke dir
ein neues Herz und lege einen neuen Geist in dich.“
Ich
nahm von dem Brot. Warm war es noch und knusprig. Langsam kaute und
genoss ich. Wie einer, der zum ersten Mal isst, was seine
Lieblingsspeise werden soll.
Dann
legte ich mich wieder hin und schlief wieder ein und träumte wieder.
Ich träumte einen ruhigen Traum.
Ich
sah das Schwere, das ich hinter mir gelassen hatte, ohne es zu
überwinden. Es verwandelte sich. Es begann zu glänzen. Wie ein
Stein, der seine Muster zeigt, wenn er nass wird. Der funkelt, wenn
ich ihn feucht in die Sonne halte.
Es
war im Traum, als fiele Gottes Licht auf das, was mir nicht gefiel.
Es umstrahlte auch das, bei dem ich wusste: Da hatte ich mich selber
verfehlt und das, was ich tun sollte. Und es strahlte auch dort, wo
ich dachte, dass Gott gefehlt hätte.
Ich
träumte und ich sah auch noch einmal das Schöne. Mein Herz sprang
vor Freude. Ich wusste: Was war, das bleibt. Es bleibt mir. Weil es
Gott bleibt.
Ein
Schatz, der blitzt und leuchtet. Ich kann die Erinnerung betreten wie
eine Schatzkammer. So oft ich mich auch hinein begebe: Immer wieder
finde ich etwas, über das ich staune.
Unter
dem Ginster lag ich und schlief. Und ganz ruhig wurde mein Atem und
es schlug Dank in mir, Dank für das Leben, Dank an Gott.
Was
gewesen ist – wir nehmen es mit über die Jahresschwelle. Ich bin
ja morgen auch immer noch derselbe wie heute. Und auch morgen ist
immer noch geschehen, was geschehen ist. Und vergangen, was vergangen
ist.
Aber
du kannst es ändern. Die Dinge ändern sich, wenn du sie anschaust.
Du änderst dich, wenn du das, was war, wieder anschaust.
Tu
es mit dem neuen Herz und dem neuen Geist, die Gott dir schenkt und
in dich legt. Schau mit einem von Gott geliehenen Blick auf das, was
war.
Ich
versuche es und sehe mit Freude, was leuchtet. Es beginnt noch mehr
zu strahlen, als es das ohnehin schon tut.
So
sieht also Erfüllung aus. So hat Gott sich das Leben gedacht, als er
es sich für all seine Menschen und also auch dich ausdachte.
Die
Wehmut verblasst, dass etwas Schönes vorüber ist. Die Freude
darüber färbt ab. Ich entdecke ihre Farben in allem anderen, was
ich erlebe. Und wenn es nur kleine Tupfer sind.
Ich
teile mit Gott, was meine Tage schwer macht. Was mir immer wieder auf
die Füße fällt – ich sammele es auf und bringe es Gott. Und er
räumt es für mich aus dem Weg.
Die
Steine sind immer noch da. Sie liegen jetzt an der Seite. Aufgetürmt
wie Wegmarken im Gebirge. Damit ich den Weg finde, der mich ins Leben
führt, wie Gott es sich denkt.
Wie
gut, dass gewesen ist, was war. Jetzt ist es Licht und Zeichen für
den Weg, den ich gehen werde.
Unter
dem Ginster lag ich und schlief. Und der Engel kam und weckte mich
ein zweites Mal.
„Elija!“,
sagte er zu mir, „steh auf und iss! Du hast einen weiten Weg vor
dir.“
Da
stand ein Krug mit Wasser vor mir. „Ich will dir geben von der
Quelle des lebendigen Wassers umsonst“, sagte der Engel. Ich nahm
den Krug und trank einen langen, frischen Schluck daraus. Er stillte
meinen Durst.
Was
mich durchströmte, war Wärme. Wie ein Blick sie auslöst, der auf
mir liegt – von jemandem, der mich kennt und dem ich vertraue, dass
er es gut mit mir meint.
Ich
kann es seinen Augen ablesen und seinem Gesicht: „Gut, dass du da
bist. Ausgerechnet du.“ Ich kann es sehen und verstehen – auch
wenn ich es nicht begreife.
Nach
diesem Blick schmeckte das Wasser. Und nach Vorfreude auf den
nächsten Tag. Ich schmeckte: Die Kraft reicht für das, was kommt.
Was
es sein wird, wusste ich nicht. Aber ich fürchtete es auch nicht.
Was es auch ist, dem ich entgegen gehe – es wird sich für mich in
Segen verwandeln.
Das
Schöne wird leuchten. Im Schweren bin ich getragen. Die Quelle wird
für mich sprudeln.
Auch
darauf vertraute ich, als ich mich aufmachte in die Wüste, die vor
mir lag. Irgendwo in ihr oder an ihrem Ende wird neues Wasser auf
mich warten.
Also
stand ich auf und ging.
Wie
gut, dass gewesen ist, was war. Und wie gut, dass kommt, was kommt.
Ein
langer Weg liegt vor jedem von uns. Vielleicht wird es eine
Wüstenwanderung. Vielleicht ein Gang durch blühende Landschaften.
Aber
am Rand des Weges sprudelt immer eine Quelle. Klares, frisches
Wasser, das den Durst stillt. Und das umsonst.
Vielleicht
ist es das, was du erhoffst: Segen für dein Tun. Als Versprechen,
dass gut wird, was kommt.
Ich
weiß: Ich kann wohl hoffen, dass nur Gutes auf mich zukommt.
Erlebnisse, die mir gefallen. Aber: Es kommen auch Erlebnisse, auf
die ich nicht hoffe und die mir nicht gefallen.
Dann
brauche ich erst recht einen Schluck aus der Quelle. Frisches Wasser,
das die Durststrecke beendet.
Segen
heißt nicht: Du bekommst nur Gutes. Segen heißt: Auch das Schlechte
wird gut. Dafür bekommst du aus der Quelle.
Du
bekommst es umsonst. Das unterscheidet diese Quelle von anderen.
Ich
brauche es nicht zu bezahlen. Ich kann es mir aber auch nicht
verdienen.
Was
du von Gott bekommst, das bekommst du einfach so. Und kannst du nur
einfach so bekommen. Als Geschenk.
So
wie die Tage und die Zeit auf uns zukommen. Ohne dass wir dafür
etwas tun können oder tun müssen.
So
kommt auch der Segen von Gott auf dich zu. Umsonst. Und da du ihn
hast – sei es auch nur ein kleiner Schluck: Steh auf und geh.
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