Öffne dich!

Da brachten Leute einen Taubstummen zu Jesus. Sie baten ihn: »Leg ihm deine Hand auf.«

Und Jesus führte ihn ein Stück von der Volksmenge weg. Er legte seine Finger in die Ohren des Taubstummen und berührte dessen Zunge mit Speichel. Dann blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu ihm: »Effata!« Das heißt: »Öffne dich!«

Und sofort öffneten sich seine Ohren, seine Zunge löste sich und er konnte normal sprechen.

Und Jesus schärfte ihnen ein, nichts davon weiterzuerzählen. Aber je mehr er darauf bestand, desto mehr machten sie es bekannt.  Die Leute gerieten außer sich vor Staunen und sagten: »Wie gut ist alles, was er getan hat. Er macht, dass die Tauben hören und dass die Stummen reden können.«

In der Geschichte gibt es ein Davor und Danach. Ein vor dem Öffne dich! und ein nach dem Öffne dich!

Vorher ist da einer, der taub ist und stumm. Er hört nicht, wie die Vögel singen und wie der Wind in den Bäumen rauscht. Er merkt nicht, wenn einer ihn ruft.

Er hat es schwer, sich mitzuteilen. Er kann zeigen, was er braucht und was ihm gut tut. Aber wer versteht, was er erzählen will über das, was er erlebt und empfindet?

Vorher sind da auch die anderen, die Leute, zu denen er gehört. Er ist ja nicht ausgeschlossen, sondern immer dabei. Sie schauen nach ihm, versuchen ihn zu verstehen.

Aber so oft ist er nur irgendwie dabei. Sie unterhalten sich, sie treffen Absprachen. Er sieht, wie sie reden. Aber er hört nichts, er versteht nichts.

Das ist vorher. Danach ist alles anders. Die Leute staunen. Sie müssen erzählen, was sie erlebt haben. Immer und immer wieder. Damit es auch wahr bleibt.

Wie sie es gewohnt sind, reden sie miteinander und über den, der daneben steht und ja doch nichts hört und nichts sagt. Als wäre er gar nicht da.

Aber jetzt ist ja danach. Er kann jetzt ja hören. Er wendet sich ihnen zu. Er nimmt jedes einzelne Wort auf und sagt: Erzählt es noch einmal.

Und sie wenden sich ihm zu und erzählen ihm seine Geschichte. Und er kann sagen: Ja, so habe ich das erlebt. Oder: Nein, so geht meine Geschichte. So fühlt sich das an.

Es gibt ein Davor und ein Danach. Und es gibt ein Dazwischen. Es gibt diesen einen Augenblick, in dem sich das Davor in das Danach wandelt.

Jesus kommt dazwischen. Er steckt dem Tauben seine Finger ins Ohr. Er berührt die Zunge des Stummen mit Speichel. So wendet sich alles. So wird aus dem Davor das Danach.

Was dazwischen kommt, ist ein Wunder. So jedenfalls erzählen es die Leute: Das hat Jesus getan. Dann konnte der, der eben noch taub war und stumm, hören und sprechen. Gott sei gelobt.

So sagt es auch der, den Jesus berührt. Ich kann euch erzählen, was er mit mir gemacht hat. Aber was er an mir vollbracht hat, kann ich mir und euch nicht erklären. Gott sei gelobt.

Und Jesus, der sagt: Erzählt nicht, was ich getan habe. Als wollte er sagen: Was ich getan habe, ist nicht wichtig. Wichtig ist nur der, der jetzt hören kann und reden.

Was dazwischen kommt, ist dieses eine Wort: Öffne dich! In ihm treffen sich das Davor und das Danach. Es wandelt das Davor in das Danach.

Davor, das ist ein Mensch, der in sich selber verschlossen ist. So wie Menschen es manchmal sind: Taub und stumm am Herzen.

Ein taubes Herz fühlt nichts. Das empfängt nicht das Lächeln, das du ihm schenkst. Das lässt auch der Schmerz kalt, der dir Tränen in die Augen treibt.

Ein taubes Herz schottet sich ab. Vielleicht hat es Angst vor dem, was stärker ist als es selber. Vielleicht trägt es irgendwo eine tiefe Wunde, an die es nicht rühren will.

Ein taubes Herz ist auch ein stummes Herz: Es behält für sich, was es bewegt. Was könnten andere schon anfangen mit seiner Liebe? Oder gar seiner Trauer?

Ein stummes Herz macht aus sich eine Mördergrube. All die Gefühle und Gedanken, Hoffnungen und Ängste, die behält es für sich. So fühlt es sich sicher. In sich selbst gefangen. Abgeschottet von allem anderen.

Das ist vorher. Danach wird alles anders. Das Herz ist voll und geht über. Wenn du es anschaust, siehst du, wie das Glück aus ihm lächelt. Und du siehst die Tränen, die übers Gesicht laufen.

Das Herz öffnet sich und zeigt, wie es ihm geht. Es sucht Trost, wenn es traurig ist. Es streckt die Hand aus nach dem, dessen Nähe es sich wünscht.

Das Herz öffnet sich und spürt, was es berührt. Es blutet, wenn es die Trauer eines anderen teilt. Es beginnt zu springen, wenn einer sein Glück mit ihm teilt.

Das Herz öffnet sich so weit, dass es sich mit einem anderen vereinen kann. Dein Schmerz ist mein Schmerz. Deine Freude ist meine Freude.

Es gibt ein Davor und ein Danach. Und es gibt ein Dazwischen. Es gibt diesen einen Augenblick, in dem sich das Davor in das Danach verwandelt.

Das Öffne dich!, das kommt dazwischen. Manchmal ist es ein Unglück, dass das Herz knackt wie eine harte Nuss. Es knirscht und kracht im Herzen. Dann öffnet es sich. Es braucht jemanden, der sein Unglück mit ihm trägt.

Manchmal ist es auch ein Glück, das das Herz mit stetem Tropfen weich klopft. Es dauert und dauert und dauert – und dann gibt es nach. Es öffnet sich. Es mag sein Glück immer weiter teilen.

Was dazwischen kommt, ist dann ein Segen. Er steckt im Glück. Und er versteckt sich auch im Unglück. In beidem kommt der Segen: Eine Kraft, die das Leben mit sich bringt.

Weil das Herz sich selber spürt und seinen Puls an andere weitergibt. Weil es spürt, wie andere Herzen schlagen und ihren Rhythmus aufnimmt.

Es ist ein Segen, wenn das Herz sich öffnet. Und wo ein Segen ist, hat Gott seine Finger im Spiel. Manchmal steckt er sie in taube Ohren und berührt mit ihnen eine stumme Zunge. Und manchmal legt er sie auf ein Herz, damit es sich öffnet.

Es ist ein Segen, wenn er ein Herz öffnet. Danach ist nichts mehr wie davor.



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