Welcher von beiden?

Jesus erzählte einmal ein Gleichnis. Von einem Pharisäer und einem Zolleinnehmer. Wer von den beiden ist euch wohl näher:

»Zwei Männer gingen hinauf in den Tempel, um zu beten. Der eine war ein Pharisäer und der andere ein Zolleinnehmer.

Der Pharisäer stellte sich hin und betete leise für sich: ›Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie die anderen Menschen – kein Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder Zolleinnehmer wie dieser hier. Ich faste an zwei Tagen in der Woche und gebe sogar den zehnten Teil von allem, was ich kaufe.‹

Der Zolleinnehmer aber stand weit abseits. Er traute sich nicht einmal, zum Himmel aufzublicken. Er schlug sich auf die Brust und sprach: ›Gott, vergib mir! Ich bin ein Mensch, der voller Schuld ist.‹

Das sage ich euch: Der Zolleinnehmer ging nach Hause und Gott hatte ihm seine Schuld vergeben – im Unterschied zu dem Pharisäer.

Denn wer sich selbst groß macht, wird von Gott unbedeutend gemacht. Aber wer sich selbst unbedeutend macht, wird von Gott groß gemacht werden.«

Ich habe mir vorgestellt, ich bin eine wie der Pharisäer. 

Ich habe mir vorgestellt, ich bin einer wie der Zolleinnehmer.

Ich meine es ernst mit meinem Leben. Es ist mir wichtig, was aus ihm wird. Dass ich etwas aus ihm mache. Dass ich mein Leben groß mache.

Ich meine es auch ernst mit meinem Leben. Ich wollte auch gern, dass aus meinem Leben etwas wird. Aber ob ich aus ihm auch etwas mache? Auch nur etwas Kleines?

Ich kann schon einiges vorweisen. Mein Haus. Mein Auto. Mein Boot. Ich protze und prahle damit nicht. Ich mache ja auch nicht auf Sylt Urlaub. Aber stolz bin ich schon.

Du kannst doch stolz sein, das sagen andere zu mir. Dein Haus. Dein Auto. Dein Boot. Du hast doch etwas erreicht. Ja. Aber es fühlt sich so unwirklich an.

Dass ich stolz sein kann, das sehe ich ja, wenn ich mir andere Menschen anschaue. Es gibt ja so viele, die aus ihrem Leben nichts machen. Die nicht verstehen, dass man alles erreichen kann, wenn man nur will.

Wenn ich andere Menschen anschaue, dann kommt es mir so vor, als sei all das, was ich erreicht habe, ganz und gar unverdient. Andere haben viel mehr getan als ich, die mühen sich viel mehr ab – und haben doch viel weniger.

Ich sage ja immer: Das Leben ist ein Monopoly. Jeder bekommt am Anfang das gleiche Startkapital. Und dann muss er das klug einsetzen und so, dass es etwas einbringt. So wird er am Ende gewinnen.

Wo einer gewinnt, das ist meine Erfahrung, ist immer auch mindestens einer, der verliert. Mein Glück, das hat als Kehrseite das Unglück anderer. Das macht mir mein Glück manchmal schal.

Damit ich richtig verstanden werde: Das alles ist für mich nicht selbstverständlich. Ich bin dankbar für das, was ich erreicht habe. Aber am Ende des Tages ist jeder auch seines Glückes Schmied gewesen.

Mein Glück, das wirkt mir immer so zerbrechlich. Als könnte jeden Augenblick einer kommen und sagen: All das, das gehört gar nicht dir, das gehört einem anderen. Und dann nimmt er es mir weg und macht einen anderen damit reich.

Ich finde ja: Was ich habe, das ist ein Segen! Weil ich das Leben ernst nehme, meint es das Leben gut mir. Ich schaue mir an, was ich erreicht habe, und denke mir: Wärst du nicht nach Gottes Geschmack, hätte er dir das alles nicht gegeben.

Ich verstehe nichts von dem, was Gott will. Ich verstehe es nicht, wenn ich auf mich selber schaue. Ich verstehe es erst recht nicht, wenn ich auf das Unglück schaue, das andere Menschen erleiden.

Wenn ich bete, dann danke ich. Ich danke Gott für das, was er mir gegeben hat. Und für das, was ich daraus machen konnte. Mit seiner Hilfe. Und mit viel Fleiß und etwas Ehrgeiz.

Ich weiß gar nicht, ob ich zu Gott so richtig beten kann. Aber wenn ich es könnte, vielleicht würde ich dann für die anderen beten. Für die, denen so vieles fehlt in ihrem Leben. Deren Leben ständig fragt: Wo bist du eigentlich, Gott?

Ich bin mir Gottes sicher. Der gehört zu meinem Leben. Ich bin so erzogen worden. Das macht Glaube selbstverständlich. Er ist für mich das, was Tradition ist.

Manchmal meine ich ja für einen kleinen Augenblick, dass ich Gott am Rockzipfel zu fassen bekomme. Ich meine etwas zu spüren, zu ahnen. Und bleibe mit noch mehr Fragen zurück.

Tradition muss ja gepflegt werden, damit sie lebendig bleibt. Und ich pflege meinen Glauben. Am liebsten sind mir die Choräle. Aus vollem Herzen singe ich sie.

Wenn ich einen Wunsch frei hätte an Gott, dann würde ich mir ja wünschen, dass ich ihn irgendwie in die Tasche stecken könnte. So, dass ich ihn immer bei mir hätte.

Am liebsten singe ich ja diese Strophe hier: Sing bet und geh auf Gottes Wegen, verricht' das Deine nur getreu, und trau' des Himmels reichem Segen, so wird er bei dir werden neu.

Ich weiß, man soll sich kein Bild machen von Gott. Aber ich hätte gerne eines. Ein Medaillon in meiner Hosentasche. So ein freundlich Lächelndes. So dass es fast schon kitschig ist. Aber nur fast.

Die Strophe, die ich singe, geht übrigens noch weiter: Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht. So endet das Lied.

Und immer wenn ich das Bild mir anschaue, dann sehe ich, dass Gott mich freundlich anschaut. Er lässt sein Angesicht leuchten über mir und ist mir gnädig.

Wer nur den lieben Gott lässt walten, so heißt das Lied. Und wenn ich ehrlich bin: Wenn ich dieses Lied singe, dann spüre ich, dass das Leben unverfügbar ist. Genau wie das Glück.

Und weil er mich freundlich anschaut, verändert sich mein Blick auf das Leben. Ich kann es annehmen als Geschenk. Und mein Herz wird leicht und freut sich.

Ich nehme mein Leben ernst.Und das, was ich am meisten fürchte, ist, dass nichts aus ihm wird. Ich weiß: Deshalb bin ich immer, immer, immer auf Gott angewiesen.

Ich nehme mein Leben ernst. Und das, was ich am meisten hoffe, ist, dass ich etwas aus ihm machen kann. Und ich hoffe: Gott hilft mir. 

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