Gottes Liebe tun
In jener Zeit wuchs die Gemeinde stetig. So erzählt Lukas in seiner Apostelgeschichte.
Eines Tages beschwerten sich die Zugezogenen. Sie warfen den Einheimischen vor, ihre Witwen bei der täglichen Speisung zu übergehen.
Daraufhin beriefen die Zwölf eine Versammlung aller Jünger ein und sagten: »So geht das nicht! Wir können doch nicht die Verkündigung vernachlässigen, um selbst an den Tischen das Essen auszuteilen. Brüder, wählt aus eurer Mitte sieben Männer aus. Sie sollen einen guten Ruf haben und vom Geist Gottes und von Weisheit erfüllt sein. Ihnen werden wir diese Aufgabe übertragen. Wir dagegen werden uns ganz dem Gebet und der Verkündigung widmen.«
Der Vorschlag fand die Zustimmung der Versammlung. Sie wählten Stephanus, einen Mann mit festem Glauben und erfüllt vom Heiligen Geist. Außerdem Philippus, Prochorus, Nikanor, Timon, Parmenas und Nikolaus aus Antiochia, der früher zum jüdischen Glauben übergetreten war. Diese sieben ließ man vor die Apostel treten. Die beteten für sie und legten ihnen die Hände auf.
Das Wort Gottes breitete sich aus, und die Gemeinde in Jerusalem wuchs immer weiter.
Der Satz, der unser Nachdenken angestoßen hat: Wir dagegen werden uns ganz dem Gebet und der Verkündigung widmen.
Das klingt nach einem weisen Satz. Jeder Organisationsberater würde dem zustimmen. Wenn einer zu viel zu tun hat, dann muss er von dem, was er zu tun hat, etwas abgeben.
Sie sind weise, die Zwölf. Sie sehen, dass es viel zu tun gibt. Und sie merken, dass sie nicht alles allein tun können. Also suchen sie sich Unterstützung.
Sie sind weise: Sie überlegen, was ihre Kernaufgabe ist. Die wollen sie weiter übernehmen: Beten und verkündigen. Für andere zu Gott sprechen. Anderen von Gott erzählen.
Das andere, das es zu tun gibt, das wollen sie abgeben: Am Tisch das Essen an die Witwen verteilen. Das ist nicht die Kernaufgabe. Das können andere machen.
So weit, so weise. Und doch klingt das alles auch merkwürdig. Zumindest dann, wenn man gerade erst die Geschichte vom barmherzigen Samariter gehört hat.
Man könnte das dem Priester in den Mund legen. Der geht an dem Verwundeten vorbei und sagt: Ich muss leider in den Tempel, anderen Menschen Gottes Wort weitersagen. Aber warte nur einen Augenblick, dann hilft dir schon einer.
Man könnte es auch dem Levit andichten: Der lässt den Überfallenen links liegen und sagt: Ich muss leider in den Tempel, Gott wartet dort schon auf mein Gebet. Aber gleich …
Das wäre natürlich eine bösartige Unterstellung. So wie das Gleichnis überhaupt eine böse Unterstellung ist. Welcher Mensch würde schon an einem anderen vorbeilaufen, der verletzt am Straßenrand liegt?
Das erfüllte den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung: Strafbar macht sich, wer „bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich ist.“ So steht es im Strafgesetzbuch, § 323 c.
Dort steht freilich auch: Die Hilfeleistung muss „den Umständen nach zuzumuten“ sein, „insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten“.
Der Priester und der Levit hätten also durchaus mit einem guten Anwalt Chancen vor Gericht. Zu helfen, das hätte ja bedeutet, dass sie andere wichtige Pflichten verletzt hätten: Wir dagegen mussten uns ganz dem Gebet und der Verkündigung widmen.
Wir finden das auch deshalb einen merkwürdigen Satz, weil er immer mal wieder an die Kirche herangetragen wird. Kirche, heißt es dann, Kirche solle sich um Gottes Willen um Gebet und Verkündigung kümmern.
Damit ist dann vor allem gesagt: Kirche solle sich nur um Gebet und Verkündigung kümmern. Aber aus allem anderen, was nicht ihre Sache ist, habe sie sich gefälligst herauszuhalten.
Da wird Kirche dann zum Beispiel vorgehalten, dass sie gerade ein Schiff in das Mittelmeer geschickt hat. See-Watch 4 heißt es und soll Flüchtlinge dort vor dem Ertrinken retten.
In dieser Woche hat die Besatzung ihre erste Rettungsaktion abgeschlossen. 353 Menschen wurden nach Palermo gebracht. Menschen, die sonst ihr Leben verloren hätten.
Aber: Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt. Dieser Satz stand am Anfang. Gesagt hat ihn Sandra Bils in ihrer Abschlusspredigt beim Kirchentag im letzten Sommer.
So ähnlich haben das damals die ersten Christen gesagt: Man lässt keine Witwen verhungern. Punkt. Der römische Staat kümmert sich nicht um sie. Also müssen wir sie versorgen.
Lasst uns ein Schiff schicken! Das war die Idee nach dem Kirchentag. Die Europäischen Länder schauen weg, wenn Flüchtlinge auf dem Mittelmeer ertrinken. Wir müssen helfen.
Die Zwölf sagten, als es Streit gab: Wir können nicht das Essen an die Witwen austeilen. Wir sollen beten und verkündigen. Aber sie sagten auch: Es ist Aufgabe der Gemeinde, sich um die Witwen zu kümmern.
Die Verantwortlichen in den Kirchen sagen: Wir können nicht selber ein Rettungsschiff betreiben. Wir sollen beten und verkündigen. Aber sie sagen auch: Es ist Aufgabe von Kirche, den Flüchtlingen auf dem Mittelmeer zu helfen.
Die Zwölf suchten Menschen, die das übernehmen konnten: das Essen austeilen an die Witwen. Und sie fanden die sieben Männer mit gutem Ruf und übertrugen ihnen die Aufgabe.
Die Verantwortlichen in den Kirchen suchten sich Verbündete. United4Rescue heißt das Bündnis, das von vielen Organisationen getragen wird. Unter anderen auch den Ärzten ohne Grenzen, einem Kondomhersteller und einer Eismarke.
Die Zwölf beteten für die sieben Männer und legten die Hände auf und segneten sie für ihre Aufgabe. Was die Sieben tun sollten, sollten sie nämlich für die Gemeinde und mit Gottes Segen tun.
Als die SeeWatch4 auslief, da bekamen die Mitglieder der Besatzung Gottes Segen mit, gesprochen in kleinen Videobotschaften, zum Beispiel von der Landesbischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt.
Was die Zwölf taten, hatte Folgen. Lukas schreibt in seiner Apostelgeschichte: Das Wort Gottes breitete sich aus, und die Gemeinde in Jerusalem wuchs weiter.
Als die SeeWatch 4 auslief, sagte Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der EKD, in einem Interview mit ZDFheute: „Was wir nicht kannten, ist die riesige Bewegung von Menschen, die sagen: Endlich orientiert sich die Kirche am Doppelgebot der Liebe zu Gott und zum Mitmenschen. Die sagen, sie waren noch nie so stolz auf die Kirche.“
Beides gehört zusammen: Von Gottes Liebe zu den Menschen zu reden. Und Gottes Liebe zu jeder und jedem einzelnen zu zeigen.
Beides gehört zusammen: Für die Menschen zu Gott zu beten. Und jeder und jedem einzelnen zu helfen. So war das damals in Jerusalem. So ist das hier und heute.
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