Geburtstagsansprache

Liebe Kirche, wir feiern heute also deinen Geburtstag. Und ich habe die ehrenvolle Aufgabe, jetzt und hier eine kleine Ansprache zu deinen Ehren zu halten.
Die Ehre hast du dir verdient. 33 bist du geboren, so steht's zumindest in den Papieren. 2018 minus 33, das macht: 1.985 Jahre. So alt wirst du heute also. Vielleicht bist du auch ein Jahr älter oder jünger. Aber wer zählt in deinem Alter noch so genau die Jahre?

Wir waren ja nicht dabei, als du zur Welt kamst. Aber oft haben wir die Geschichte gehört, wie es damals war. Also können wir davon erzählen, als wären wir dabei gewesen.
Damals, vor bald 2.000 Jahren, als die Menschen nach Jerusalem strömten. Schawuot feierten sie dort. Sie dankten für die Ernte, die Gott ihnen gab. Und für die zehn Gebote, die er Mose schenkte.
Nur die, aus denen die Kirche werden sollte, mochten nicht feiern. Ein großes Loch hatte Jesus in ihre Herzen gerissen. Erst hatte er ihnen Gott ganz nah gebracht. Und dann war er gegangen und hatte Gott gleich mitgenommen.
So jedenfalls fühlte es sich an. Da halfen auch seine Versprechungen nichts: Ich lasse euch nicht allein. Ich schicke euch den Tröster. Der wird euch lehren und erinnern.
Aber nichts davon war zu spüren. Und plötzlich: ein Rauschen und etwas, das brannte. Der Tröster war da. Der Geist, der zurückbrachte, was Jesus mitgenommen hatte. Gottes Nähe, seine Worte, die Leben schenkten.
Dieses Mal ohne Umweg über Jesus. Geradewegs in ihre Herzen und Köpfe. Nicht zu fassen und doch zum Greifen nah.
Begeistert waren sie. Vom Geist Getriebene. Er trieb sie hinaus aus ihrem Haus und ihrem Leben zu den anderen Menschen, die Gott schon feierten.
Sie feierten mit ihnen. Und der Funke sprang über von ihnen auf andere. Hier und da zumindest: Gott fährt hinein in euer Leben, sagten sie. Er ist mitten drin statt nur dabei. Er sitzt mitten in eurem Herzen.
Alle verstanden es. Die einen wunderten sich und die anderen spotteten. Und manchen fuhr Gott mitten ins Herz.

So war das damals, liebe Kirche, als du geboren wurdest. So zumindest erzählen wir es, seit Lukas es in seiner Geschichte von den Anfängen der Kirche aufgeschrieben hat.
Als er das tat, fingst du gerade an, um dich zu schauen und die Welt wahrzunehmen. 50 Jahre warst du da alt.
Kein Vergleich zu den 1.985 Jahren von heute. Fast ist man geneigt zu sagen: Ja, ach, früher, da warst du süß und zum Knuddeln.

Und heute?, fragst du dich vielleicht. Heute bist du längst groß und erwachsen. Und manchmal, um ehrlich zu sein, siehst du, liebe Kirche, schon ganz schön alt aus.
Das klingt unhöflich, da hast du recht, und vielleicht gehört es sich nicht, so etwas auf einer Geburtstagsfeier zu sagen.
Aber dir ging es ja immer um die Wahrheit. Also musst du dir die Wahrheit auch anhören, die andere an dir sehen.
In Chile also, so war in dieser Woche in der Zeitung zu lesen, da haben sämtliche 34 katholischen Bischöfe dem Papst den Rücktritt angeboten.
Sie haben das getan, weil über Jahre hinweg sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ausgeübt und geduldet und verharmlost und vertuscht wurde.
Und nicht nur dort, auch anderswo muss man dir, Kirche, unangenehme Fragen stellen: Wie kommt es, dass Menschen die Macht, die sie von dir über andere Menschen bekommen, so grauenhaft ausnutzen können?
Dass so etwas geschehen kann: Liegt das nur an den Menschen? Oder liegt es auch an dir?

Auch andere Dinge gefallen uns nicht an dir. Da ist zum Beispiele eine Gemeinde, durch die sich quer ein Riss zieht, der sich vielleicht sogar zu einem Graben auswächst.
Macht der neue Pastor nun gute Arbeit?, lautet die Streitfrage. Oder soll nicht lieber einer kommen, der genau so ist wie sein Vorgänger? Oder am besten der Vorgänger selber?
Mit dem Pastor spricht von seinen Kritikern keiner. Aber natürlich bekommt er mit, wie über ihn gestritten wird. Das tut ihm nicht gut. Und den Menschen in der Gemeinde ganz sicher auch nicht.
Ach, Kirche, dir ging es ja immer um Vertrauen. So habe ich dich zumindest verstanden. Aber wie kommt es, dass es hier und da aus dir weicht wie Luft aus einem kaputten Reifen?
Und wieso versucht niemand, das Ganze wieder zu flicken? Indem man miteinander spricht, statt übereinander?

Ach, um mit dem Reden anzufangen und ganz ehrlich zu sein: Manchmal mache ich mir ernsthafte Sorgen um dich und deine Zukunft.
Zumindest an den Stellen, die ich so kenne. Die Statistiken berichten davon, dass du immer weniger wirst. Immerhin: 2016 gab es in Deutschland mehr Taufen als Austritte. Wenn man die Sterbefälle nicht mitzählt.
Schau dich mal in Mecklenburg um. Von zehn Menschen können acht nicht viel mit dir anfangen. Fremd bist du ihnen geworden. Nicht mal, dass sie sich an dir stören. Sie kennen dich schlicht nicht mehr.
Und dann gehen seit einigen Wochen noch andere Zahlen durch die Nordkirche: Bis 2030 wird sich die Zahl der Pastorinnen und Pastoren um ein Drittel verringern.
Nicht, weil das Geld fehlt, um sie zu bezahlen, oder die Gemeinden fehlen, die begleitet und geleitet werden sollen. Sondern weil der Nachwuchs fehlt. Weil mehr Frauen und Männer in den Ruhestand gehen, als neu anfangen.

Neu anfangen. Du hast recht. Natürlich gibt es an vielen Stellen bei dir ständig neue Anfänge.
Der Teil von dir, der sich Pfingstkirche nennt, der wächst beständig. Schneller als alle anderen Teile von dir. Schneller als alle anderen Religionen. Jeder Vierte, der zu dir gehört, sagt man, gehört zu einer Gemeinde der so genannten charismatischen Bewegung.
In Südamerika und in Asien, heißt es, schießen sie wie die Pilze aus dem Boden. Aber auch in Deutschland gibt es sie: Kein Talar, keine Orgel, kein Kirchengebäude. Dafür kurzes Hemd, E-Gitarre und eine alte Werkhalle.
Gottesdienste ohne strenge Abfolge, mit freien Gebeten für jeden, der da ist, fröhlichen Loblieder, die überspringen. Handauflegung, die berührt, mit einer engen Gemeinschaft, die trägt.
Was wichtig ist, sind sofortige Heilung der Seele und des Körpers. Was zählt, ist, unmittelbar Gott und seinem Geist zu begegnen. Pfingstkirche.
Ich muss gestehen, liebe Kirche, dieser Teil von dir kommt mir vor, als wäre er betrunken, auch wenn es erst die dritte Stunde des Tages ist. Zu wenig Bodenhaftung, zu wenig Zweifel, zu wenig „Herr, erbarme dich.“
Gleichzeitig staune ich. So ernsthaft, so anrührend, so begeistert. Gott, der Menschen mitten ins Herz fährt.

Ach, liebe Kirche. Gott, der Menschen mitten ins Herz fährt. So war das damals, als du deinen Geburtstag gefeiert hast, an Schawuot in Jerusalem.
So wünsche ich dich mir auch heute: Gott, der Menschen mitten ins Herz fährt.
Und es bleibt ja nicht nur ein Wunsch. Hier und da geschieht es ja immer noch. Ich will dir von hier erzählen.

Gestern Abend zum Beispiel. Orgelkonzert bei Kerzenschein hier in der Kirche. Klänge, die leise und laut, perlend und drängend den Raum füllen.
Und dann die eine Tonfolge, die durch das Ohr ins Herz fährt und einen Gedanken anstößt, der vorher noch nicht da war: Ich bin geborgen.
Oder letzten Samstag. Zehn Menschen auf Bänken im Kreis am Strand. Vor sich ein Kreuz, zwei Windlichter, eine Taufschale. Der Täufling sitzt im Sand und sucht Steine.
Ein paar Worte nur währenddessen über Glaube und Hoffnung und Liebe und Vertrauen in Menschen und das Leben und Gott. Ein Segen für das Kind und seine Eltern.
Oder am Donnerstag. 17 Jugendliche, die das erste Mal zum Konfer kommen. Aufgeregt ein wenig, stolz vor allem. Die spielen und lachen, miteinander reden, von sich erzählen.
Über den Namen, auf den sie gern hören. Die Freunde und Familien, die ihnen am Herzen liegen. Die Arbeit auf dem Bauernhof, im Weingut, die sie neben der Schule gern tun. Die Hütte, in der sie sich treffen. Und alle lachen in die Kamera.
Auch am Donnerstag. Vier Menschen, die der Gesprächskreis zusammengeführt hat: Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.
Geballte Lebenserfahrung, die sie miteinander austauschen. Über Streit, der sich in Versöhnung auflöst. Über Vergeben, das nicht gelingt. Gemeinsame Suche nach dem, was dem Leben hilft und worauf Gottes Segen liegt.

Geschichten von hier. Als Beispiele für viele Geschichten von vielen anderen Orten, an denen es dich gibt, Kirche. Und wo das geschieht. Dass Gott mitten ins Herz einzieht.
Meist leise und zart, zaghaft und vorübergehend auch. Ein Augenblick, der sich verflüchtigt, wenn ich nach ihm greife. Der sich aber ins Gedächtnis legt.
Ein Augenblick, der nie machbar ist, aber immer geschenkt. Und du machst es möglich, Kirche. Du gibst den Raum, dass Gott ins Herz eines Menschen einzieht.
Dafür mag ich dich. Dazu gratuliere ich dir und wünsche dir und uns allen Gottes Segen die Fülle.

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