Wie du selber umarmt werden willst
Rembrandt van Rijn, Die Heimkehr des verlorenen Sohnes, 1642 (Haarlem, Tylers Museum) |
Das
ist die Botschaft, die wir von Jesus Christus gehört haben und die
wir euch verkünden: Gott ist Licht, in ihm gibt es keine Spur von
Dunkelheit. (1 Johannes-Brief 1,5)
Einer,
der sich Johannes nennt, schreibt das an seine Gemeinde.
Gott
ist Licht. Gott ist eine Gestalt aus Licht. Jesus erzählt von ihm,
als er von dem Vater erzählt, der aus seinem Haus stürzt und dem
Sohn entgegen läuft.
Ich
versuche mir Gott so vorzustellen. Wie einen, den die Freude ganz und
gar ausfüllt. Das Herz macht einen Sprung, als er den sieht, den er
so lange vermisst hat.
Fast
setzt das Herz aus. Ein freudiger Schreck. Was auch immer er gerade
in der Hand hat – er lässt es fallen. Er rennt zur Tür. Er reißt
sie auf.
Er
läuft los. Es sieht ein wenig merkwürdig aus. Da rennt einer, der
das nicht mehr gewohnt ist. Einer, der bald ein alter Mann ist, läuft
wie ein Kind. Leichte Schritte, fast ein Hüpfen.
Und
wie ein Kind lacht und juchzt er. Mit einer glockenhellen Stimme ruft
er von weitem: Kind. Sohn.
Und
dann, auf den letzten Metern, breitet er die Arme aus und stolpert
fast. Schließlich schlingt er die Arme um den, der vor ihm steht,
und umarmt ihn so fest, wie er kann.
Der
Atem geht schwer, und man weiß nicht, ob er nach Luft schnappt. Oder
ob er vielleicht schluchzt. Vor Glück, weil sich eine Sehnsucht
erfüllt hat.
Die
Augen strahlen, das ganze Gesicht leuchtet. „Da bist du wieder.“
Und zärtlich fährt die Hand dem Wiedergefundenen durch die Haare
und über das Gesicht.
Gott
ist eine Gestalt aus Licht. Eine Lichtgestalt, die den, den sie
wiederfindet umarmt und einhüllt mit leuchtender Liebe.
Johannes
schreibt in seinem Brief:
Wir
lügen, wenn wir behaupten: »Wir haben Gemeinschaft mit Gott!«,
aber unser Leben nach der Dunkelheit ausrichten. Was wir tun, steht
dann im Gegensatz zur Wahrheit.
Gott
selbst ist ja im Licht. Wenn wir nun ein Leben führen, das – wie
er selbst – im Licht ist, haben wir Gemeinschaft untereinander. (1
Johannes-Brief 1,6-7a)
Gott ist Licht. Gott selbst ist ja im
Licht. Jesus erzählt weiter von ihm, als er von dem Vater erzählt,
der noch einmal vor die Tür tritt.
Dort steht der andere Sohn in der
hereinbrechenden Nacht. Düster sind seine Gedanken, dunkel fühlt es
sich in ihm an.
Ich frage mich, was ihn davon abhält,
einfach hineinzugehen. Dorthin, wo das Licht ist und sie gerade ein
Fest feiern. Was hält ihn draußen vor der Tür, dort im Dunkeln,
fest?
Fragen wir ihn, den Sohn. Er wird
womöglich antworten: Der Vater lässt mich hier draußen im Dunkeln
stehen. Die Party steigt ohne mich. Ich bin nicht eingeladen.
Fragen wir den Knecht, der neben ihm
steht und ihm von dem Fest erzählt. Wenn er mutig ist, wird er
vielleicht antworten: Keiner schließt dich aus. Du selber bist es,
der draußen im Dunkeln bleibt.
Ob dem Sohn das hilft, die dunkle
Wolke zur Seite zu schieben, die sich zwischen ihn und das Licht
geschoben hat? Eine Wolke aus Neid und Eifersucht.
Liebe und Leben lassen sich nicht
teilen, flüstert es aus der Wolke. Wer dich liebt, darf nur dich
lieben. Was bleibt von der Liebe, wenn auch andere von ihr bekommen?
Wer sich dem einem zuwendet, muss sich
schließlich von dem anderen abwenden. Und was der eine erhält, ist
für den anderen verloren. So ist es doch, oder?
Dem Sohn fehlt die Kraft, die dunkle
Wolke zu vertreiben. Sie legt sich schwer aufs Gemüt. Mit dem
Bruder, der ihm die Liebe des Vaters stiehlt, will er nichts zu tun
haben.
Und er wendet sich um und will
fortgehen von diesem Vater, der seine Liebe verschleudert wie der
Bruder das Erbe.
Doch dieser Vater tritt vor die Tür
und geht ihm nach und nimmt ihn in den Arm und hüllt ihn ein in sein
Licht und lädt ihn ein zum Fest.
Seine Gegenwart vertreibt die dunkle
Wolke und ihr Flüstern verstummt. Der Sohn fühlt wieder, was er
früher schon fühlte: Liebe leuchtet wie das Licht. Wenn ich Licht
teile, wird es mehr. Wenn ich die Liebe teile, wird es heller.
Johannes
schreibt weiter an seine Gemeinde:
Wir
betrügen uns selbst, wenn wir behaupten: »Uns trifft keine Schuld!«
Dann ist die Wahrheit nicht in uns am Werk.
Wenn
wir aber unsere Schuld eingestehen, ist Gott treu und gerecht: Er
vergibt uns die Schuld und reinigt uns von allem Unrecht. (1
Johannes-Brief 1,8-9)
Gott ist Licht. Gott ist treu und
gerecht. Jesus erzählt von diesem Vater, der ganz anders treu und
ganz anders gerecht ist, als die beiden Söhne es erwarten.
Was sie erwarten, ist: Ich bekomme,
was ich verdient habe. Ich werde belohnt dafür, dass ich all die
Jahre für den Vater gearbeitet habe, erwartet der eine.
Der andere erwartet: Weil ich das Erbe
verschleudert habe, muss ich etwas tun, um das wieder gut zu machen.
Und irrt sich genauso wie sein Bruder.
Er hat sich das in Selbstgesprächen
fein säuberlich zurecht gelegt: Vater, ich stehe in deiner Schuld.
Aber ich will die Schuld abtragen. Stück für Stück.
Er sagt es auch dem Vater: Ich bin
schuldig geworden. Wer mag ermessen, wie viele unruhige Nächte ihn
das zuvor gekostet hat. Wer gesteht schon gern eine Schuld ein?
Doch der Vater hört gar nicht, was
der Sohn zu sagen hat. Er ist davon ausgefüllt, sich über die
Rückkehr zu freuen. Statt ihn als Knecht anzustellen, gibt er ihm
den Ring des Erben.
Von Schuld sprechen nur die beiden
Söhne. Der eine, weil er Angst hat, dass das, was er getan hat, ihn
vom Vater trennt. Der andere, weil er den Vater davon überzeugen
will, dass es doch genauso ist: Die Schuld trennt.
Aber für den Vater ist die Schuld
nichts, was trennt. Mit einem Handstreich der Liebe wischt er sie
einfach beiseite. Im Licht seiner Liebe verschwindet, was die Söhne
für einen dunklen Fleck halten.
Ob die Söhne das verstehen können?
Ob ich das annehmen kann? Es zählt nicht die Schuld, die einer
angesammelt hat. Es zählt, was Gott daraus macht: eine Umarmung.
Die Schuld fängt erst da an, wo ich
meine, es gibt etwas, das mich von Gott trennen könnte. Erst da, wo
ich meine, Gott könne mir nicht treu sein und gerecht werden.
Die Schuld trifft Gott: Wenn ich ihm
nichts zutraue, verschleudere ich sein Erbe. Die Schuld trifft mich.
Weil ich Gott nie kennen lernen, wenn ich ihm nicht alles zutraue.
Johannes schreibt:
Ob
wir Gott wirklich kennen, können wir daran ablesen, dass wir seine
Gebote halten. Wer behauptet: »Ich kenne ihn«, aber seine Gebote
nicht hält, ist ein Lügner. In ihm ist die Wahrheit nicht am Werk.
Aber
wer sich an sein Wort hält, in dem ist die Liebe Gottes wahrhaftig
vollendet. Daran können wir ablesen, ob wir in der Gegenwart Gottes
leben. (1 Johannes-Brief 2,3-5)
Gott ist Licht. Gott ist nah und
gegenwärtig. Jesus erzählt davon, als er vom Vater erzählt, der
seine beiden Söhne umarmt. Da hört die Geschichte auf, die Jesus
erzählt.
Mit Fragen hört sie auf. Geht der
andere Sohn noch hinein und feiert Wiedersehen mit seinem Bruder? Wie
lange dauert das Fest, das sie hoffentlich alle Drei gemeinsam
feiern?
Ich frage mich auch: Wie sieht der
Alltag aus, der sie früher oder später einholt? Wie viel bleibt in
diesem manchmal so grauen Alltag von dem Licht, das Gott ist?
Jesus erzählt von dem Vater, der
seine Söhne liebt wie sich selbst. Er erzählt von Gott, der wie
dieser Vater ist. Einer, der die Söhne umarmt, wie er von ihnen
umarmt werden will. Mit ganzem Herzen und von ganzer Seele.
Ich stelle mir vor: Die Söhne
genießen, wie sie umarmt werden. Sie finden gefallen daran. Sie
spüren den Druck, mit denen der Vater sie umarmt.
Sie spüren ihn auch dann, wenn sich
die Umarmung einmal kurz löst. Dann sehen sie sich danach, von neuem
umarmt zu werden.
Diese Sehnsucht stillen sie, indem sie
sich gegenseitig umarmen. Das, was sie einmal getrennt hat, hat
zwischen ihnen keinen Platz mehr. Sie wollen sich ja umarmen. Also
haben sie es gemeinsam zur Seite geschoben.
Sie umarmen einer den anderen, wie sie
selber umarmt werden wollen. Sie wenden sich einander zu, wie ihr
Vater sich ihnen zugewandt hat. Und darin ist ihnen immer auch der
Vater nahe.
Daran können wir ablesen, dass wir in
der Gegenwart Gottes leben: Wir haben einmal gespürt, wie Gott uns
umarmt. Wir spüren immer noch den leichten Druck an der Seele: Du
gehörst zu mir.
Wir suchen immer wieder nach dieser
Umarmung. Und finden sie, wenn wir einen anderen Menschen umarmen.
Wenn wir ihn umarmen, wie wir von Gott umarmt sind. Und wenn wir ihn
umarmen, wie wir selbst umarmt werden wollen.
Eines Tages kam einer, der vormachte,
wie das geht: umarmen. Er umarmte, wie er selbst umarmt war, ganz und
gar, von Gott, dem Vater. So fing es an, so geht es weiter.
Johannes schreibt:
Wer
von sich sagt: »Ich lebe in der Gegenwart Gottes!«, geht damit eine
Verpflichtung ein – so zu leben, wie Jesus gelebt hat. (1
Johannes-Brief 2,6)
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