Glanz im Alltag

Epiphanias ist heute, Tag der Erscheinung des Herrn. Gott erscheint in einem Menschen. Und die Menschen sehen ihn. Können ihn sehen. Wir haben das am Heiligabend schon einmal gefeiert. Heute feiern wir es wieder. Wir feiern noch einmal Weihnachten.
Und das ist auch gut so. Denn Weihnachten beginnt ja schon zu verblassen. Die Plätzchen sind alle und die geschenkten Bücher ins Regal geräumt. Und auch die Weihnachtsstimmung verliert sich. Langsam aber sicher. In den ruhigen Aufräumtagen zwischen den Jahren. Im lauten Feiern an Silvester. Im Alltag, der uns morgen endgültig wiederhat.
Ob noch etwas da ist: Von dem Hochgefühl des Heiligabend? Von der Freude und der Andacht? Von dem Licht und dem Glanz? Es muss ja reichen – bis zum nächsten Heiligabend. Da ist es gut, noch einmal Weihnachten zu feiern. Da tut es gut, sich noch einmal erinnern zu lassen.

Noch einmal erinnern: Das gilt auch für den Propheten, den wir Jesaja nennen. Er lebt in Jerusalem. Dort, wo eigentlich Aufbruchstimmung herrschen sollte. Denn die Vertriebenen sind zurück aus Babylon. Die Zukunft kann beginnen.
Die Heimkehrer fangen an, den Tempel wieder aufzubauen. Aber die Dagebliebenen haben sich an seine Trümmer gewöhnt. Manche haben sich anderen Göttern zugewandt. Der Glaubenseifer der Zurückgekehrten ist ihnen unheimlich.
Eigentlich stehen doch ganz andere Dinge an. Wozu einen Tempel, wenn die Häuser noch nicht aufgebaut sind? Wozu Gott dienen, wenn es erst einmal um das eigene Auskommen geht? Das liegt an: Sich gegen den anderen durchzusetzen, seinen Platz zu finden und zu behaupten. Mit allen rechten und zur Not auch mit allen unrechten Mitteln.
Statt Aufbruchstimmung legen sich Enttäuschung und Müdigkeit und Verzweiflung auf die Menschen. Dunkel ist es in ihnen und über ihnen.
Da ist es höchste Zeit, dass einer Gott in Erinnerung ruft. Der, den wir Jesaja nennen, wendet sich an die Stadt Jerusalem und die Menschen dort, an die Dagebliebenen und die Zurückgekehrten.

Ob die Menschen, zu denen dieser Jesaja spricht, diese großen Worte hören können und wollen? Ich spüre jedenfalls, wie in Jesaja Freude aufsteigt. Er lässt sich begeistern – und er will begeistern.

„Steh auf! Werde Licht, denn dein Licht kommt, und der Glanz Gottes erstrahlt über dir.“
Er will die Menschen anstecken. Oder anders: Er will dieses Licht in ihnen anzünden. Ein Hoffnungslicht. Er will, dass die Menschen hoffen, dass sie auf Gott hoffen.
Er glaubt fest, dass sie das tun können. Er sieht nicht nur ein Licht am Ende des Tunnels. Er sieht sein Leben, er sieht die ganze Stadt, er sieht alle Menschen in das Licht getaucht, das von Gott ausgeht. Gottes Glanz erstrahlt über den Menschen – und alles wird hell.
Jesaja setzt ganz darauf, dass Gott nah ist. Ob der Tempel nun wieder aufgebaut ist oder die Menschen anderen Göttern nachlaufen – Gott ist nah. Er ist so spürbar nah, dass die Menschen die anderen Götter vergessen werden – und auch den Tempel. Gott braucht kein Haus mehr, wenn sein Licht über und in den Menschen leuchtet. Neben ihm verblassen all die kleinen Lichter am Menschen gemachten Götterhimmel.

„Schau hin! Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker, doch über dir ist seine Helligkeit und sein Lichtglanz breitet sich über dir aus.“
Vielleicht wollen die Menschen, zu denen Jesaja spricht, diese Worte nicht hören. Wie Hohn mögen sie in ihren Ohren klingen. Finsternis und Dunkel – die haben nicht nur die anderen Völker; davon haben sie auch in Jerusalem genug.
Aber Jesaja glaubt an den Lichtglanz, der von Gott ausgeht. Er sieht sie gegen die Armut und die Armseligkeit, die ihm in den Straßen von Jerusalem begegnet. Die Trümmer der Stadt und die zerbrochenen Lebensläufe verbreiten Finsternis und Dunkel – Jesaja spricht von Helligkeit und Lichtglanz.
Und er ist sich sicher: Nicht das Dunkel wird das Licht schlucken. Sondern das Licht wird das Dunkel vertreiben. Er hält an der Hoffnung fest, dass die Armut verschwindet. Er sieht das Leben, das siegt. Nach und nach scheint es auf und strahlt aus. Die Menschen werden aufatmen und aufrecht gehen können. Es wird wieder Tag in Jerusalem.

„Völker ziehen zu deinem hellen Tag und Könige zu dem Schein, der über dir aufstrahlt.“
Wenn sie Jesaja denn noch zuhören, werden die Menschen ihren Ohren nicht trauen. Jetzt noch ist Jerusalem eine gebeutelte Stadt und Israel ein besetztes Land. Aber Jesaja behauptet: Das wird sich ändern.
Die anderen Völker und die Mächtigen werden über das Land und die Stadt staunen. Sie werden angelockt von dem Licht, das von ihnen ausgeht. Jerusalem wird Mitte der Welt.
Vielleicht träumt Jesaja den Traum von einer heilen Welt. Vielleicht träumt er davon, dass die Menschen gut zusammen leben. Jeder hat sein Auskommen und lässt dem anderen das seine. Gemeinsam suchen sie nach dem, was dem Frieden dient. Dem eigenen und dem des anderen.
Und er träumt davon, dass das lockt. Dass die wirkliche heile Welt Menschen verführt, die Welt auch heile lassen zu wollen. Wann hätte es das schon einmal gegeben?
In Jerusalem wird es das geben. Sagt Jesaja.
So erinnert Jesaja seine Menschen an das große Versprechen, das Gott gegeben hat und gibt: Ich bin da. Eure Gottlosigkeit und Armut und Ungerechtigkeit tauche ich in mein Licht. Damit ihr wisst: Die gerechte Welt ist möglich. Ein gutes Leben ist möglich. Meine Nähe zu spüren ist möglich.

So erinnert Jesaja. So erinnert er damals. Und so erinnert er heute, wo wir heute noch einmal Weihnachten feiern:

„Steh auf! Werde Licht, denn dein Licht kommt, und der Glanz Gottes erstrahlt über dir.“
Das höre ich – und ich sehe das Kind in der Krippe. Von ihm geht der Glanz Gottes aus. Aber es ist kein kalter Glanz, keiner, der blendet. Sondern ein Glanz, der Wärme ausstrahlt. Und auch einer, der Heimat und Geborgenheit verspricht.
„Ich bin da“, sagt Gott. „Ich bin da in diesem Kind.“ Nicht prächtig, nicht mächtig. Sondern klein, verletzlich. Ganz vorsichtig fängt Gott an. Und doch macht er es hell. Wie das erste Lächeln eines Säuglings.
Ich will mir das merken für meinen Weg von einem Weihnachten zum nächsten: Gottes Licht kommt nicht so, dass es mich blendet. Es kommt so, dass ich mein Leben in seinem Licht sehen kann, wärmer sehen kann. Nicht alles wird anders. Aber alles sieht anders aus. Weil ich es in Gottes Licht sehe. Und mit den lebensfreudigen Augen des Neugeborenen.

„Schau hin! Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker, doch über dir ist seine Helligkeit und sein Lichtglanz breitet sich über dir aus.“
Das höre ich – und ich sehe die Hirten. Sie gehen von dem Kind zurück in ihren Alltag, zu den Hürden auf dem Felde. Dorthin nehmen sie den leisen Glanz mit, den das Kind auf ihr Leben gelegt hat.
Jetzt geht der Glanz auch von ihnen aus. Die Menschen, denen sie begegnen, werden sich wundern: Wieso strahlen diese armen Hirten so? Und die Hirten werden noch mehr strahlen.
Das will ich gern mitnehmen auf meinen Weg von diesem Weihnachten zum nächsten: Dass ich in meinem Leben etwas von diesem Glanz trage, der von Weihnachten ausgeht. Und dass dieser Glanz auch auf andere Menschen fällt. Solange ich selber spüre und mir gewiss bin: Gott ist da. Mitten in meinem Alltag. Denn wenn Gott in einer Krippe geboren wird – dann wird er auch in meinem Alltag sein.

„Völker ziehen zu deinem hellen Tag und Könige zu dem Schein, der über dir aufstrahlt.“
Das höre ich – und sehe die drei Weisen, die im Lauf der Geschichte zu drei Königen gekrönt wurden. Sie sind auf der Suche nach dem Glanz, der von dem Kind in der Krippe ausgeht. Sie suchen ihn dort, wo sie ihn vermuten. Im Großen und Wohlgeborenen. Dort wo man eben Glanz erwartet.
Und doch finden sie ihn woanders. Sie finden ihn nicht im Besonderen, sondern im Alltäglichen. Nicht im Herrlichen, sondern im Bescheidenen.
Auch das will ich bewahren zwischen diesem Weihnachten und dem nächsten: die Suchanweisung für den Glanz Gottes. Falls ich ihn unterwegs einmal aus den Augen und dem Herzen verlieren sollte, kann ich ihn wieder finden. Indem ich ihn dort suche, wo ich ihn nicht vermute.
Wenn du etwas verstecken willst, dann verstecke es dort, wo es vor aller Augen ist. So ist auch der Glanz Gottes versteckt. Genau vor meinem Augen. Mitten in meinem Leben. Wenn ich sie öffne und mit dem Herzen schaue, werde ich den Glanz wahrnehmen. Mitten in meinem Alltag.
Daran will ich mich erinnern und immer wieder erinnern lassen.

gepredigt am Sonntag, 6. Januar 2013

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Fortsetzung folgt

Dreifach Gott begegnen

Herr, sag uns, wie wir beten sollen