Ist ja Sonntag

„Ist ja Sonntag“, grummelt Herr M. und wirft die Serviette auf den Frühstückstisch. Er muss noch einmal ins Büro. Obwohl er sich zwischen den Jahren etwas anderes vorgenommen hat. "Ich gehe nicht mehr am Wochenende ins Büro", hatte er seiner Frau gesagt. "Soso", hatte die geantwortet. Sie kennt den Vorsatz schon vom letzten Jahreswechsel.
Auch sein Chef kennt das Versprechen. "Aber", sagte er zu Herr M., „aber Sie wissen ja: Die Zentrale wartet auf die Jahresstatistik. Können Sie das nicht schnell am Samstag erledigen?" Herr M. zögerte, dann sagte er: "Na gut, dieses eine Mal noch." Wer sollte es auch sonst machen?
Aber jetzt ärgert er sich, weil aus dem Samstag auch der Sonntag wird. Weil er sich wieder hat breit schlagen lassen. Er steht auf. "Ich geh’ dann mal", sagt er zu seiner Frau. "Jaja", sagt sie, "ist ja Sonntag."
Draußen schlägt er den Mantelkragen hoch und geht schnellen Schrittes durch die Straßen. Er grüßt Frau P., die ihren Hund ausführt. Er kommt an der Tankstelle vorbei, wo die Autos und ihre Fahrer vor der Waschanlage Schlange stehen. Als er auf den Kirchplatz kommt, fangen die Glocken an zu läuten. "Ist ja Sonntag", murmelt er.
Der Pastor tritt aus der Kirchentür und winkt zu ihm hinüber. Herr M. zeigt mit einem Achselzucken auf die Aktentasche. Dann eilt er weiter. Kurz darauf steht er an der Bürotür. Aber wo ist der Schlüssel? Er erinnert sich: In der linken Tasche der Jacke, die zuhause im Flur hängt. Herr M. macht kehrt.
Er kommt wieder an der offenen Kirchentür vorbei. Er zögert kurz, dann biegt er ab. „Guten Morgen“, sagt der Pastor und reicht ihm an der Kirchentür die Hand, „doch nicht arbeiten?“ Herr M. schüttelt den Kopf: „Nee, ist ja Sonntag.“

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