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Engelbesuch - eine Begegnung in der Christnacht

I. Sei gegrüßt Sei gegrüßt! N'abend. Unser Haus ist voll. Fürchte dich nicht. Ich fürchte mich nicht. Aber unser Haus ist voll. Fürchte dich nicht. Du wirst heute noch Besuch bekommen. Ich sagte bereits … Ein Mann wird dich um ein Zimmer bitten. Wir haben keinen Platz. Für sich und seine schwangere Frau. Tut mir leid, aber ich kann nicht … Die Frau wird ihr Kind bei dir zur Welt bringen. Nein, wird sie nicht. Auf Wieders … Fürchte dich nicht. Aber ich … Was soll das? Was? Dieses andauernde: „Fürchte dich nicht!“ Ich sehe deine Angst. Ich habe keine Angst. Und selbst wenn es so wäre, das ändert nichts daran: Es ist kein Raum in der Herberge. Du hast doch Angst. Wovor sollte ich Angst haben? Vor einem Mann, der an meine Tür klopft? Das ist mein Alltag, dass Fremde bei mir klopfen. Aber ausgerechnet heute sind wir ausgebucht. Du fürchtest dich vor dem Kind. Vor welchem Kind? Das bei dir, in deinem Haus, geboren wird. Sicher nicht. Und vor allem: Nicht in mei

Eine Tür öffnet sich in Zeit und Raum

Es ist Heiligabend. Der kleine Jakob wacht aus dem Mittagsschlaf auf. Schnell steht er auf, nimmt den Teddy und läuft ins Wohnzimmer. Er weiß: Da steht der Tannenbaum, den der Vater am Vormittag geschmückt hat. Staunend hat er davor gestanden. Ganz oben der rote Stern, die vielen Bastengel. Hier ein Weihnachtsmann, da eine Holzglocke. Die Kerzen, und auch ein Glöckchen, mit dem er klingeln kann. Als er jetzt ins Wohnzimmer kommt, hat die Mutter noch etwas aufgebaut. Unter dem Baum. Da stehen Holzfiguren. Schafe erkennt er, einen Esel, eine Kuh. Sie liegen vor und in einem Stall. Menschen sind da auch. Könige, erklärt ihm die Mutter. Und Hirten. Und Maria und Josef. Und dann ist da noch das Baby. Das Jesuskind. Es liegt in einer Krippe. Jakob kniet sich hin, nimmt die Figuren nacheinander in die Hand, beginnt mit ihnen zu spielen. Er kann sich von ihnen nicht trennen. Auch dann nicht, als die Mutter ihn anzieht, weil es Zeit für den Gottesdienst ist. Er kann sich eine Fi

Saurer Apfel, süße Birne

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Wer hat die Welt erlöst allein? / Kyrieeleison! / Das hat getan das Christkindlein, das hat erlöst die Welt allein! / Jesus und Maria. Jesus und Maria. Das Tafelgemälde auf dem linken Seitenflügel des Altars in St. Johannis zeigt sie. Sie sind nicht gleich zu entdecken. Zuerst fällt der Prediger hinter seinem Holzpult ins Auge: Johannes der Täufer. An den Fingern scheint er abzuzählen, was er zu sagen hat. Um ihm herum die Menschen, die zu ihm an den Jordan gekommen sind. Vor ihm auf dem Boden sitzt eine Frau in schwarzem Kleid und weißem Tuch. Den Kopf hält sie geneigt, einen Zipfel des Tuchs hält sie sich seitlich ins Gesicht. Sie scheint traurig zu sein. Oder schaut sie nur auf das Kind, das vor ihr sitzt? Ein rotes Kleid trägt das Kind und eine weiße Schürze. Mit gespreizten Fingern hält es Früchte. In der linken Hand eine halbe Birne, auf ihr liegt sein Blick. Ob es hineinbeißen will? Mit der rechten Hand greift es – ohne hinzuschauen – nach einem Apfel, den d

Immer schön brav und artig

Sind Sie denn auch immer schön brav und artig gewesen? Einmal Kopfschütteln oder Kopfnicken reicht mir als Antwort. Sie sind der Meinung, dass ich Ihnen mit dieser Frage zu nahe trete? Recht haben Sie. Im Ernst würde ich mir nie erlauben, sie Ihnen zu stellen. Kein Erwachsener würde sie einem anderen Erwachsenen stellen. Kinder allerdings müssen sich in diesen Tagen voller Nikoläuse und Weihnachtsmänner dieser aufdringlichen Frage stellen. Bist du denn auch immer schön artig gewesen? Was sollen Kinder darauf antworten? Ich habe wegen dieser Fragerei den Nikolaus als Kind nie gemocht. Er kam mit einem Sack und einer Rute immer zur Weihnachtsfeier meines Fußballvereins. Vor versammelter Mannschaft zählte er auf, dass ich frech zum Trainer und lauffaul war und drohte mir mit der Rute. Aber dann wollte er doch nicht so sein, weil ich ja immerhin nicht ganz schlecht spielte. Er griff in seinen Sack und holte ein kleines Geschenk für mich heraus. Die Erwachsenen lachten, als sei es ein lusti

Goldregen unterm Tor

Es ist noch einmal der letzte Tag. Ich sitze am Bett der Mutter und halte ihre Hand und befeuchte ihre Lippen und lausche auf ihre Atemzüge. Ich höre am Telefon die Nachricht, die mich im Magen trifft und mir die Knie weich macht, die ich dennoch nicht begreife. Ich stehe in der Trauerhalle am offenen Sarg und sehe das ferne Lächeln und spüre die kalte Haut und suche nach Leben. Es ist noch einmal dieser letzte Tag. Der Schmerz wird wieder wach, der doch noch nicht vergangen ist, sondern nur leicht schlummerte. Die Tränen, von denen ich hoffte, sie seien schon alle geweint, fließen von neuem. In den Schmerz mischen sich die Erinnerungen, durch die Tränen huscht ein Lächeln. Weißt du noch? Kleine Geschichten aus dem Alltag mit ihr fallen mir ein. Gesten und Eigenarten, die zu ihm gehörten. Sie wärmen das Herz. Er ist noch lebendig in ihm, sie wohnt dort weiter. Und doch: Der letzte Tag bleibt der letzte Tag. Er hat abgebrochen, was hätte weiter gehen sollen, müssen. Unwiderruflich h

Plötzlich ist der Terror da

Plötzlich ist der Terror da. Eine Explosion ist zu hören. Ein dumpf krachendes Geräusch. Der Spieler am Ball erschrickt, schaut, spielt weiter. Die Zuschauer jubeln. Ein Böller. Aber wo kam er her? „Da wird einem mulmig“, sagt der Reporter und kommentiert weiter. Zur gleichen Zeit in einer Bar, in einem Restaurant. Zwei Männer schießen um sich. Menschen stürzen, bleiben liegen. Verletzte, zwölf sind tot. Und noch ein Restaurant, in dem jemand wahllos um sich schießt. Menschen stürzen, bleiben liegen. 18 oder 19 sterben. Zur gleichen Zeit bei einem Heavy-Metal-Konzert. Drei Männer kommen in den Saal und schießen um sich. 10, 15 Minuten lang. Zwei Mal, drei Mal laden sie nach. Wer nicht fliehen kann, wird zur Geisel. Die Polizei stürmt den Saal. Die Attentäter sprengen sich in die Luft. 89 Menschen sterben durch sie. Plötzlich ist der Terror da. Du setzt dich am Freitag vor den Fernseher und freust dich auf den Fußballabend.  Zwei Stunden später sitzt du da immer noch. Du siehst Mens

Die Geschichte von Paula und Frau Heil und Kurt

Kurt schaut nach draußen. Die Blätter an der Linde bewegen sich im Wind. Die Sonne lässt sie leuchten, in gelb, orange und grün. Durch das gekippte Fenster trifft ein Hauch der feucht-frischen Herbstluft sein Gesicht. Trotz des geöffneten Fensters ist es in dem Zimmer stickig: Abgestandene Luft, die nach Desinfektionsmittel und kaltem Mittagessen riecht. Die Schwester hat das Essen noch nicht abgeräumt. Es steht noch auf der Ablage des Nachtschranks. Nur wenig hat Paula davon gegessen. Bei jedem Löffel, den Kurt ihr hinhielt, musste er sie überreden, den Mund zu öffnen. Es tat ihm weh, wie er sie bei jedem Bissen würgen sah. Er kann seine Frau verstehen. Kartoffelbrei aus der Tüte, eine fertig angerührte Soße, pürierte Erbsen. Nie würde sie ihm so etwas vorsetzen. Bei ihr ist immer alles frisch zubereitet, am liebsten aus dem eigenen Garten. Wie lange sie immer braucht, bis alles abgeschmeckt ist. Ob sie das jemals wieder schaffen wird? Am Herd in ihrer Küche für sie beid

... und die Saat geht auf und wächst ...

So, Muck, du musst anfangen. Ich? Ja. Die Gemeinschaft unseres heiligen Gottes sei mit eurer Liebe. Amen. Nicht ganz richtig, Muck. Aber dennoch: Amen. Amen. Erinnerst du dich, Muck? Natürlich erinnere ich mich! – Woran eigentlich? Dass du mir letztes Jahr eine Blume geschenkt hast. Ohja, eine, die hatte ich aus deinem Garten geklaut. Genau. Heute habe ich dir eine mitgebracht. Oh. Das ist aber nett. Gib her. Bitte... Aber: Das ist doch keine Blume. Das ist Vogelfutter. Das ist ein Sonnenblumenkern. Sag ich doch: Vogelfutter. Ach, Muck. Hast du schon mal einen Sonnenblumenkern in die Erde gesteckt? Natürlich habe ich das. Ich habe alles schon mal gemacht. Dann weißt du auch, was dann passiert. Natürlich weiß ich das. Ich weiß alles. Also? Na, du steckst den Kern in die Erde. Dann wartest du ein bisschen. Dann gehst du jeden Tag gucken. Dann siehst du irgendwann eine kleine grüne Spitze. Und dann siehst du ein kleines Blatt. Und dann wächst das

Nur noch ein Wunder...

Viele Menschen fragen: Was ist schuld daran, warum kommt das Glück nicht zu mir? Das könnte die Eingangsfrage zu einer Predigt sein. Ist es ja auch – und doch wieder nicht. Eigentlich ist es ein Zitat: „Viele Menschen fragen / was ist schuld daran / warum kommt das Glück / nicht zu mir? / Fangen mit dem Leben / viel zu wenig an. / Dabei steht das Glück / schon vor der Tür.“ Das sind die ersten Zeilen eines Schlagers. Jetzt kommt der Refrain: „Wunder gibt es immer wieder / heute oder morgen / können sie geschehn. / Wunder gibt es immer wieder / wenn sie dir begegnen / musst du sie auch sehn.“ Katja Ebstein sang das, 1970, beim Eurovision Song Contest , der damals noch Grand Prix Eurovision de la Chanson hieß. Wunder gibt es immer wieder. So einfach ist das. Das Glück steht vor der Tür. Geh einfach hin, mach auf, bitte das Glück herein. Wenn es da doch nicht stehen sollte: Geh auf die Straße. Halte die Augen auf. Es wird nicht lange dauern, dann begegnet dir ein Wunder.   Ach, d

Glaubst du das?

„ Gesundheit“ rufe ich immer noch, wenn einer niest. Dabei sagt Knigge doch schon seit Jahren : „Muss man selbst oder aber eine andere Person in einem Raum niesen, ignoriert man dies als einen unerheblichen Zwischenfall. Dieser sollte nicht durch ein schallendes 'Gesundheit!' zu einem Drama gesundheitlichen Verfallsverfremdet werden.“ Die Angst vor dem gesundheitlich Verfall stand übrigens am Anfang des Ausrufes: „Gesundheit!“. Der stammt aus dem 17. Jahrhundert, habe ich jetzt gelernt, als die Lungenpest umging. Wenn da einer neben einem nieste, dann wünschte man Gesundheit. Aber nicht in erster Linie dem Niesenden, sondern sich selber: „Gott schenke mir Gesundheit!“ Auch wenn man also „Gesundheit!“ nicht mehr sagt – sie ist gefühlt immer noch und immer mehr das, was Menschen anderen und sich selber am häufigsten wünschen. Ob ich nun Eltern frage, was sie sich für ihr gerade geborenes Kind wünschen oder einer 85jährigen zum Geburtstag gratuliere, die Antwort ist die g