Nun soll es werden Friede auf Erden

Mahmud Abbas und Benjamin Netanjahu feiern auf dem Tempelberg gemeinsam Gottesdienst. Und Paula und Peter Hansen und treffen sich bei Knudsen am Kühlregal und reden miteinander bis Ladenschluss.
Nun soll es werden Friede auf Erden! Wer vom Frieden singt, singt immer auch vom Krieg. Paula und Peter streiten sich schon seit Jahren um das Erbe der Eltern. Und Palästinenser und Israeliten kämpfen noch viel länger um Jerusalem.
Als wären Krieg und Frieden die zwei Seiten derselben Medaille. Immer wieder nehmen wir sie in die Hand und werfen sie hoch und setzen auf Frieden.
Dann fällt die Münze und kreiselt noch ein wenig auf dem Boden – schließlich bleibt der Krieg obenauf. Paula und Peter reden lieber schlecht übereinander statt nur einmal miteinander. Abbas und Netanjahu geben sich nach wie vor unversöhnlich.
Aus dem Jubel der Engel wird eine Klage: Nun soll es werden Friede auf Erden!

Zur Zeit Jesu gaben sie sich sicher:
Dieser Geburtstag hat der Welt ein anderes Gesicht gegeben. Sie wäre dem Untergang verfallen, wenn nicht in dem heute Geborenen für alle Menschen ein gemeinsames Heil aufgestrahlt wäre.
Er ist uns und den kommenden Geschlechtern als Heiland gesandt. Jedem Krieg wird er ein Ende machen und alles herrlich ausgestalten. In seiner Erscheinung sind die Hoffnungen der Vorfahren erfüllt.
Mit diesen Worten meinten sie – genau: Augustus, den römischen Kaiser und Weltenherrscher. Der hat tatsächlich Frieden geschaffen – seinen Frieden, die Pax Augusta.
Dieser Friede hatte seinen Preis: Ihn konnte nur genießen, wer zum römischen Reich gehörte. Wehe aber den kleinen Nachbarstaaten, die gefressen wurden.
Und Frieden gab es nur für die, die bereit waren, sich Augustus zu unterwerfen. Wehe denen, die lieber an den demokratischen Spielregeln der Republik festhalten wollten, die Augustus abschaffte.
Ob das Frieden war? Ist Frieden, wenn einer die Regeln des Friedens vorschreibt und sich alle daran halten, weil sie unterlegen sind? Ist Frieden, wenn er für einige gilt, andere aber von ihm wortwörtlich ausgegrenzt werden?

Zur Zeit Jesu und danach gehörten die Juden und mit ihnen auch die Christen zu denen, die vom Frieden der römischen Kaiser unterworfen und ausgegrenzt wurden.
Sie teilten einen gemeinsamen Traum:
Gott sagt:
Und du, Bethlehem, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.
Er wird auftreten und sie weiden in der Kraft des HERRN und in der Hoheit des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden bis an die Enden der Erde.
Und er wird der Friede sein.
(Micha 5,1.3-4a)
Von Micha ist dieser Traum aufgeschrieben und überliefert worden. Sechshundert, vielleicht siebenhundert Jahre, bevor Jesus geboren wurde.
Micha hat dabei sicher nicht an Jesus gedacht. Das taten erst die, die Jesus erlebten und von ihm erzählten, und die, die von ihm hörten und weiter erzählten.
Sie schrieben in die alten Worte von Micha Jesus Christus hinein: Er kommt doch in Bethlehem zur Welt, wegen dieser Volkszählung. Er stammt aus Urzeiten, wie das Wort, das am Anfang war. Er weidet die Menschen in der Kraft des Herrn, wie es der gute Hirte tut.

Und er ist der Friede! Die Hirten finden ihn, als der Engel sie zum Stall schickt. Und die Weisen finden ihn, als der Stern sie nach Bethlehem führt.
Es ist ein merkwürdiger Friede. Er verwirrt die Weisen. In ihrer Weisheit suchen sie den Frieden erst bei den Mächtigen. Und er erschrickt mit seinem Licht die Hirten. Sie haben sich in ihrem Leben im Abseits der Nacht eingerichtet.
Aber der Friede ist da, im Stall, unter dem Stern. Er ist mit Händen zu greifen wie das Kind, das Hirten und Weise treffen.
Die Weisen finden, was sie nicht gesucht haben: Gott, den Herrn der Welt, in einem Kind weitab von den Palästen der Macht, klein, verletzlich, ohnmächtig.
Die Hirten werden gefunden, von Gott, der in dem Kind zu ihnen kommt, den Unterworfenen, Ohnmächtigen.
Beide, Hirten und Weise, finden den Frieden. Einen merkwürdigen Frieden. Am Lauf der Welt ändert er gar nichts. Trotz Engel und trotz Stern: Die Welt bleibt, wie sie ist.
Die Hirten müssen vom Stall wieder zurück zu ihren Herden. Die Wölfe bedrohen weiter die Schafe.
Die Weisen ziehen zurück ins Morgenland. Das Morden an den Kindern verhindern sie nicht.
Die Welt bleibt, wie sie ist: ein Ort des Krieges. Und doch: Nun soll es werden Friede auf Erden.

Gott macht den ersten Schritt und kommt zur Welt. Er macht seinen Frieden mit ihr – Frieden auf seine Weise.
Menschen haben Krieg und Leid oft als Strafe Gottes verstanden. Als würde Gott so seinen Willen diktieren.
Aber was wäre das für ein Gott, der seine Menschen in den Krieg und ins Leid schickte? Ein grausamer Kriegsherr vielleicht, aber bestimmt kein Gott der Liebe.
Krieg darf nach Gottes willen nicht sein. Auch das Leid ist nicht nach Gottes willen. Dennoch ist beides da. Und Gott macht Frieden mit dem Krieg und dem Leid.
Er kommt zur Welt und nimmt Krieg und Leid auf sich, einfach so, wie ein neu geborenes Kind. Ohne sich zu wehren, ohne sich wehren zu können, trägt er, was Menschen auszuhalten haben. Indem er einer von ihnen wird.
Frieden wird erst, wenn alle Menschen verlernt haben, Krieg zu führen. Gott fängt damit an. Er hebt die Hände wie ein Kind, das in den Arm genommen werden will.
Mehr noch: Er tut, was jedes Kind erst einmal tut. Er liebt die, auf die er angewiesen ist. Er liebt die Menschen, denen er sich anvertraut. Und duldet alles, was sie ihm antun.
Gott legt seinen Frieden leise in die Krippe – und hofft, dass er wächst, und wartet, dass Menschen ihn aufnehmen.

Nun soll es werden Friede auf Erden!
Wer vom Frieden singt, singt immer auch vom Krieg. Weil Frieden werden soll, aber Krieg ist.
Es gilt aber genau so: Wer vom Krieg singt, singt immer auch vom Frieden. Weil Krieg ist, aber Frieden werden soll.
Die Hirten kehren zurück aus dem Stall zu ihren Schafen. Sie müssen sie weiter des Nachts gegen die Wölfe hüten. Sie tun es mit einem Lied auf den Lippen. Sie singen von der Zeit, in der die Lämmer bei den Wölfen liegen werden.
Die Weisen ziehen zurück von Bethlehem ins Morgenland. Sie wissen, dass viele Kinder unschuldig sterben sollen. Sie tun es dennoch mit einem Lied auf den Lippen. Sie singen davon, wie Gott die Kinder segnet, alle zusammen und jedes einzeln.
Die Hirten und die Weisen singen das Lied vom Frieden. Sie singen das Lied, das die Engel angestimmt haben und das sie selber gesungen haben, als sie bei dem Kind waren. Seitdem tragen sie es immer weiter in sich und in die Welt hinein.
Dieses Lied ist leise. Leiser als das Heulen der Wölfe jedenfalls und das Schreien der Soldaten von Herodes. Aber es ist beharrlich.
Das Friedenslied klingt weiter und weiter. Es weht von weit her durch die Zeiten. Bis heran zu Mahmud Abbas und Benjamin Netanjahu. Und auch bis zu Paula und Peter Hansen.
Die Kriegsleute müssen irgendwann ihr Geschrei unterbrechen, weil ihnen die Puste ausgeht. Dann hören sie das Friedenslied.

Sie werden nicht gleich einstimmen. Aber das Lied setzt sich in ihnen fest. Und eines Tages werden auch sie es singen – das Lied der Engel: Nun soll es werden Friede auf Erden!

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