Wo das Licht scheint
Mache
dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit
des Herrn geht auf über dir! (Jesaja 60,1.)
Ein
Junge erlebt das erste Mal mit allen Sinnen den Heiligen Abend. Max
soll er heißen.
Heute
kommt auch zu ihm das Christkind und bringt Geschenke. Das weiß er,
seine Eltern haben es ihm oft gesagt in den letzten Tagen. Es
kribbelt in seinem Bauch.
Vorgestern
war er noch einmal mit seiner Mutter im Dunkeln unterwegs. Dort, wo
große und kleine Menschen sich trafen und Lieder sangen.
Er
staunte über das Haus und die Figuren darin, die in einem
erleuchteten Fenster standen – und über den Stern, der von der
Dachrinne baumelte und rot und orange strahlte.
Eben
ist er aus der Kirche zurück gekommen. Viele Menschen waren da und
die Orgel spielte. Kinder haben gesungen mit Kerzen in der Hand.
Überall leuchteten Kerzen.
Jetzt
steht er mit Opa vor der Wohnzimmertür. Ein Glöckchen hat
geklingelt. Das ist das Zeichen: Das Christkind war da. Langsam
öffnet sich die Tür.
Max
geht vorsichtig über die Schwelle und bleibt starr stehen: Dunkel
ist es in dem Zimmer und doch ganz hell. Da steht ein Tannenbaum in
der Ecke, an dem viele, viele Kerzen strahlen.
Max
staunt mit offenem Mund und staunt und staunt. Dann beginnt auch er
zu strahlen.
Denn
siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber
über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über
dir. (Jesaja 60,2.)
Auch
für die Hirten wird es ein Heiliger Abend. Samuel und Jonathan und
Ruben, so sollen sie heißen. Sie ahnen nichts von dem, was auf sie
zukommt.
Es
ist eine Nacht wie jede Nacht. Sie verbringen sie draußen bei den
Schafen. Mit den Hunden haben sie die Tiere zusammengetrieben. Auch
das eine fehlende haben sie noch vor Anbruch der Dunkelheit wieder
eingefangen.
Jetzt
sitzen und liegen sie ruhig ums Feuer. Neben sich die Hunde, die
aufmerksam nach Wölfen wittern und lauschen. Über sich die Sterne,
die langsam ihre Bahn ziehen.
Zwischen
Wachen und Schlaf reden sie leise miteinander. Über die Klauen des
einen Mutterschafs, nach denen sie mal schauen müssen. Über die
Leute aus dem Dorf, über das Mädchen, von dem sie träumen.
Auch
über den Kaiser und seinen Statthalter und die Besatzungsmacht. Sie
wissen es: Sie sind selber nur Randfiguren in dem großen Spiel um
Macht und Reichtum.
Aber
sie haben ja ihren Platz gefunden und sind im großen und ganzen
zufrieden. Es ist der Ort, an dem sie sein wollen, hier draußen bei
den Schafen, in der Mitte der Nacht.
Die
aber ist mit einem Mal vorüber. Wie ein Schlag trifft sie das Licht.
Von allen Seiten drängt es auf sie ein. Es ist über ihnen, es ist
neben ihnen.
Sie
wissen nicht, wo es herkommt, dieses Licht. Aber es blendet auch
nicht. Es ist nur – klar. Alles um sie herum ist in dieses gläserne
Licht getaucht.
Das
Feuer verblasst in diesem Licht. In der Ferne klemmen ein paar Wölfe
ihre Schwänze ein. Die Schafe schauen auf und suchen nach Gras
Das
Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht und über
denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. (Jesaja 9,1.)
Samuel
und Jonathan und Ruben, die Hirten, stehen in dieser Heiligen Nacht
in der Klarheit des Herrn. Sie leuchtet um sie.
Vielleicht
verstehen sie es nicht gleich und auch nicht ganz, wie ihnen
geschieht. Aber womöglich sehen sie in dieser Nacht und danach ihr
Leben und die Welt klarer – eben in Gottes großem Licht, das über
ihnen scheint.
Es
scheint über ihnen. Es scheint nicht über Augustus und auch
nicht über Quirinius. Es scheint nicht über denen, die sich selber
für Lichtgestalten halten und von anderen dafür verehrt werden.
Das
Licht der Macht- und Geldhaber dieser Welt verblasst. Doch, es
leuchtet noch, immer noch, in diesem Jahr vielleicht sogar stärker
als sonst – auch bei den selbst ernannten und gewählten Kaisern
und Statthaltern unserer Tage. Und manche umschwirren sie deshalb wie
Motten.
Aber
Gottes Klarheit fällt nicht auf sie. Sie ist nicht das Rampenlicht,
in dem sich die Mächtigen sonnen dürfen. Gottes Klarheit scheint in
der heiligen Nacht heute woanders auf.
Sie
scheint über jedem einzelnen der 65 Millionen Menschen, die weltweit
geflohen sind. Alle drei Sekunden beginnt irgendwo für einen
Menschen die Flucht.
Gottes
Licht scheint über ihnen. Über dem zehnjährigen Ibrahim aus
Nigeria, den Terroristen fast tot schlugen, nachdem sie seinen Vater
erschossen hatten. Über der 19-jährigen Doaa aus Syrien, die nur
knapp überlebt, als ein Boot voller Flüchtlinge im Mittelmeer
versinkt.
Gottes
Licht scheint über ihnen. Damit wir sie sehen und den Frieden für
sie wollen, nach dem sie sich sehnen. Und für sie tun, was ihnen gut
tut und ihrem Frieden hilft.
Sie
sind es, die in dieser Heiligen Nacht in der Klarheit des Herrn
stehen. Sie leuchtet um sie.
Jesus
sagt: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird
nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens
haben. (Johannesevangelium 8,12.)
Max,
der kleine Junge, steht im Lichterglanz des Heiligen Abends und
staunt immer noch. Mit ihm staunen die, die um ihn herum im
Wohnzimmer sind.
Sie
staunen über Max: Unter dem Baum liegt ein Geschenk neben dem
anderen und wartet, dass er es auspackt. Aber er hat erst einmal nur
Augen für die Lichter.
Wenn
er sich kurz abwendet, dann um Mama und Papa und Oma und Opa die
Lichter zu zeigen: Wie schön sie leuchten und das ganze Zimmer und
vor allem ihn verzaubern.
Es
geschieht wie von selbst, wenn du ein Kind bist. Aber es geschieht
auch, wenn du schon ziemlich groß und erwachsen bist: Dass du
verzaubert wirst von dem Licht, das nur am Heiligen Abend aufscheint.
Mag
sein, dass dieses Licht von den Kerzen des Tannenbaums ausgeht. Kann
aber auch sein, dass es geraden Wegs aus der Krippe kommt. Quer durch
Zeit und Raum fällt es in dein Leben.
Warm
scheint es von dort herüber und überzieht dein Leben mit seinem
Licht.
Das
Leben wird dadurch nicht anders. Du bist womöglich immer noch müde
von alldem, was du in den Tagen und Wochen zuvor erledigen musstest,
auf dem Hof, im Betrieb, in der Schule, zuhause.
Und
du siehst klar, dass die heile Welt, von der du vielleicht träumst,
auch dieses Weihnachten ein Traum bleibt. Die Spannungen lösen sich
nicht einfach so und die Trauer weicht nicht wie von selbst und die
Idee fürs Leben kommt nicht wie von selbst.
Was
dich bisher umtrieb, bewegt dich weiter. Aber das Licht aus der
Krippe taucht dein Leben in seinen eigenen Glanz. Und dein Leben
sieht verwandelt aus.
Was
dir manchmal wie ein stumpfer Kiesel vorkommt, leuchtet in diesem
Glanz wie ein Kristall. Das Leben, das du lebst, ist wertvoll, ein
Schatz, weil Gottes Licht darauf fällt.
Nimm
dir Zeit und schau es an. Freu dich an dem, was das Licht zum Glänzen
bringt. Je länger du schaust, desto mehr entdeckst du.
Aus
den feinen Rissen, die hier und da dein Leben durchziehen, strahlt
goldenes Licht. In allem, was dir geschieht, strahlt Gottes Licht.
Es
strahlt gerade dort, wo es dir am Dunkelsten erscheint. Dort bricht
das Licht durch. Von innen heraus bringt es dein Leben zum Leuchten.
Und
Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht! (1. Mose 1,3.)
Weihnachten wird es Licht. Es wird
Licht bei den Hirten, die in der Klarheit Gottes stehen und bei den
Ohnmächtigen, über denen sein Licht aufscheint.
Es wird Licht bei Max, den der
Lichterglanz im Wohnzimmer verzaubert und bei dir, wenn du über das
Licht in deinem Leben staunst.
Es wird Licht, weil Gott Licht macht.
Auf dem Feld und im Wohnzimmer. In der Welt und in deinem Leben.
Und
Gott sah, dass das Licht gut war. (1. Mose 1,4a.)
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