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Weihnachtspost

Erster Brief Meine Liebe! Soldaten werden immer gebraucht. Ich habe diesen Satz meiner Mutter nie verstanden. Natürlich: Ich bin der Sohn eines Offiziers, der Sohn eines Offiziers war, der auch Sohn eines Offiziers war, der wiederum … Die Söhne in unserer Familie wurden schon immer Legionäre. Und die Frauen wurden schon immer Witwen. Meinen Großvater habe ich nie kennen gelernt. Und mein Vater starb, als ich sieben Jahre alt war. Dennoch sagte meine Mutter diesen Satz: Soldaten werden immer gebraucht. Dennoch bin ich Soldat geworden. Warum eigentlich?, hast du mich vor meinem Aufbruch gefragt. Und hinzugefügt: Ich möchte nicht Witwe werden. Vor allem nicht jetzt. Wie mag es dir gehen? Drei Monate sind vergangen. Kannst du es schon spüren? Wird dir immer noch schlecht? Nun bin ich hier, in der Provinz Judäa. Wir wurden nach Bethlehem beordert. Ein kleines Dorf in den Bergen, etwas südlich von Jerusalem. Wir sollen die örtliche Steuerbehörde bei der Volkszählung unterstützen. Belie

Ein Herz voll Erbarmen

Die Mutter hält das Kind auf ihrem Schoß, es liegt in ihrer Armbeuge. Mutter und Kind schauen sich in die Augen. Das Kind greift nach dem Handgelenk der Mutter und saugt an ihrer Brust. Die Freundinnen sind zu Besuch. Sie stehen und sitzen neben der Mutter und ihrem Kind. Die eine von ihnen hält den Brei bereit. Sie staunen unentwegt das Kind an. Es muss glücklich sein, so zufrieden wie es da liegt. Die Mutter muss glücklich sein über das Geschenk des Lebens auf ihrem Schoß. Lange hat sie auf dieses Kind gewartet. Jahr für Jahr war alle vier Wochen ihr Traum zerronnen, dass neues Leben in ihr wachsen könnte. Was hätte sie darum gegeben, endlich mit dem Warten aufhören zu können. Aber der Kopf konnte dem Herz die Hoffnung nicht ausreden, die immer wieder von neuem enttäuscht wurde. Mit der Zeit stumpfte ihr Herz ab. Der Schmerz wird schwächer, wenn er einen ständig begleitet. Aber das Fünkchen Hoffnung glomm weiter. Sie mochte und konnte es nicht austreten. Vielleicht eines Tages …

Sehnsucht + Geduld = Vorfreude

Ich war heute Morgen schon im Garten. Mit meiner Rosenschere. Vom Forsythienstrauch in der hintersten Gartenecke habe ich drei Zweige abgeschnitten. Heute ist der 4. Dezember. Der Barbaratag. Barbara soll im 3. Jahrhundert nach Christus gelebt haben, in Nikomedia, etwa 100 Kilometer östlich vom heutigen Istanbul. Sie wollte Christin werden, ihr Vater versuchte mit allen Mitteln, sie davon abzuhalten. Barbara setzte ihr Vorhaben durch und ließ sich taufen. Als ihr Vater davon erfuhr, brachte er sie vor Gericht und ließ sie zum Tode verurteilen. Die Legende erzählt, dass Barbara auf dem Weg ins Gefängnis sich mit ihrem Gewand an einem Zweig verhakte. Der Zweig brach, Barbara nahm ihn mit und stellte ihn im Gefängnis in ein mit Wasser gefülltes Gefäß. Er blühte an dem Tag, an dem das Todesurteil über sie gesprochen wurde – als wolle er widersprechen mit einer leisen, doch deutlichen Stimme. Der Vater hörte diese Stimme nicht. Er selbst soll seine Tochter enthauptet habe

Was, wenn ich einfach "Ja" sage?

„Kannst du nicht aufpassen!“, ruft Paula. „Du bist schuld!“ Böse funkelt sie Paul an. Die Teekanne ist zerbrochen. Ihre Lieblingskanne. Vor 27 Jahren hat sie die geschenkt bekommen. Handfest und zugleich verspielt ist sie getöpfert, in einem dunklen Grünton glasiert. Noch oft hat sie danach Geschirr von diesem Töpfer gekauft. Teller, Tassen, Becher. Alle in derselben Art. Die Teekanne war und blieb das erste und das liebste Stück. Jetzt ist sie zerbrochen. Ein paar große und viele kleine Scherben liegen auf dem Küchenboden. Da ist nichts mehr zu reparieren.   „Du bist schuld!“ Was, wenn Paul jetzt einfach „Ja“ sagt? Aber die Kanne hatte am Boden schon lange einen Sprung. Das weiß Paula doch genau. Und außerdem hat sie nicht richtig hingeschaut, als sie Paul die Kanne hinhielt und einfach losließ. Und Paul erinnert sich noch ganz genau, wie Paula letztens in der Spüle das Weinglas zerbrochen ist, das er sich damals in dieser kleinen Glasbrennerei... „Du bist schuld!“ Wa

Gegen die Wirklichkeit träumen

Ein Träumer – was ist das für ein Mensch? Einer, der träumt. Klar. Aber ist das einer, der aus der Wirklichkeit flieht? Oder einer, der die Wirklichkeit verändern will? Ein Träumer kann sich eine Traumwelt neben der Wirklichkeit schaffen, weil die ihm nicht gefällt. Er verlässt das wirkliche Leben und bewegt sich nur in seiner erträumten Parallelwelt. Ein Träumer kann aber auch seine Träume gegen die Wirklichkeit stellen. Er versucht jeden Tag, etwas von seinem Traum wirklich werden zu lassen, damit die Wirklichkeit sich verändert. Die Bibel steckt voller Träumer. Einer von ihnen ist der Prophet Jesaja: "Gott sagt: Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Man soll nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens. Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leb

Albtraum oder Traum

Papst Franziskus geht in seinem weißen Gewand eine Straße entlang. Allein, den Blick zu Boden gesenkt, offenbar langsamen Schrittes. Links und rechts von ihm erheben sich Backsteingebäude. Die Sonne scheint in Bäume, die ihr grünes Blätterkleid ins Licht halten. Im Vordergrund ist eine schwarz-weiße Schranke zu sehen. Und ein hohes Gittertor, über dem ein geschmiedeter Schriftzug hängt: „Arbeit machtfrei“. Entstanden ist das Bild am Donnerstag, als Papst Franziskus das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz besuchte. 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen wurden im nahegelegenen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau umgebracht, die meisten von ihnen waren Juden. Die Menschen wurden aus ganz Europa in Zügen in das KZ verschleppt. Sie kamen aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Jugoslawien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Polen, Rumänien, aus der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und Ungarn. Zug um Zug rollten sie ihrer Ausbeutung als Sklavenarbeiter und ihrer Er

Lieblingsorte

Ein Strand, das Meer. Ein See, in dem sich Bäume spiegeln. Das Pferd, der Hund. Ein Ball, ein Tor. Ein Schlagzeug, eine E-Gitarre. Die Freunde. Lauter Lieblingsorte. Eine Leiter, die Himmel und Erde verbindet. Engel, die darauf hinauf- und hinabsteigen. Gott, der segnet. Und Jakob, der staunt: „Gott ist an diesem Ort, und ich wusste es nicht!“ (vgl. 1 Mose 28,10-19a).  Ein Lieblingsort ist ein Ort, an dem ich mich wohl fühle. Wenn ich an ihm bin, verändert sich etwas in mir. Die Seele wird weiter. Das Herz schlägt glücklicher. Der Puls wird ruhiger. Jakobs Puls rast, sein Herz schlägt wie verrückt. Was er im Traum erlebt, fährt ihm in sämtliche Glieder. An Schlaf ist danach nicht mehr zu denken. Zu aufgewühlt ist die Seele. Ein Lieblingsort, das ist wie eine Oase. Ich sitze auf dem Pferd, ich spiele Fußball, ich sitze am Strand. Für ein paar Augenblicke ist der Alltag weit weg und die Welt in Ordnung. Ich bin im Reinen mit mir selber. Wie mag Jakob in den Sch

Hunger macht böse

Familie Birnbaum aus Zittau hatte eine Geschäftsidee: Sie wollte einen Speisen-Lieferdienst aufmachen. Es fehlte ihnen nur noch ein Name. Also fanden sie sich um die Mittagszeit zum Brainstorming zusammen. Essen auf Rädern? Klingt muffig. Zittau-Imbiss? Langweilig. Birnbaum bringt's? Naja. Der Kopf rauchte, der Magen knurrte, die Stimmung schlug um. „Wenn uns nichts einfällt, können wir's gleich ganz lassen“, schimpfte Vater Birnbaum. „Ich mach' uns erst mal was zu essen“, sagte Mutter Birnbaum, „Oma hat immer gesagt: Hunger macht böse.“ „Das ist es“, sagte Vater Birnbaum: „Hunger macht böse!“ „Was ist es?“ „Das ist der Name für unser Geschäft: 'Hunger macht böse'“ Ich gebe zu: Das Gespräch ist frei erfunden. Aber Familie Birnbaum und ihren Speisen-Lieferdienst „ Hunger macht böse “, den gibt es in Zittau tatsächlich. Hunger macht böse. Das wusste nicht nur Oma Birnbaum, das erfuhren auch schon Mose und Aaron: Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wi

Im Anfang war der Stein

Im Anfang war der Stein. Er war da, als das Eis kam. Es brach ihn ab und trug ihn davon. Tag für Tag und Jahr um Jahr wanderte auf dem Rücken des Gletschers mit. Nach einer langen Strecke und einer noch längeren Zeit legte der Gletscher ihn ab, tief eingehüllt von einem Dunkel aus Erde und Geröll. Der Wind kam und das Wasser. Tag für Tag und Jahr um Jahr. Gemeinsam trugen sie die Erde weg und zerrieben das Geröll. Eines Tages erblickte er den Himmel über sich. Lange geschah nichts. Aber er konnte warten. Tage waren für ihn ein Wimpernschlag, Jahre dauerten einen Atemzug. Schließlich war seine Zeit da. Ein Mann kam, begleitet von einem Eselskarren und vier anderen Männern. Die Männer nahmen Stöcke und Seile. Sie ächzten, bis sie ihn auf den Wagen geladen hatten. Sie brachten ihn in die Werkstatt des Mannes. Ein Ort, an dem es viele gab wie ihn. Der Reihe und der Form nach waren sie geordnet. Immer wieder wurde einer von ihnen geholt. Eines Tages war er an der Reihe. Der Mann bearbeite

Kommt und seht selbst!

Es dauert nur einen Augenblick – im wahrsten Sinne des Wortes: Es dauert einen Blick mit den Augen, einen Blick in die Augen. Dann ist es entschieden, heißt es. Es ist entschieden, was ich von einem anderen halte, dem ich das erste Mal begegne. Es ist entschieden, ob ich mit ihm etwas zu tun haben will. Nach einem kurzen Augenblick weiß ich das. Die Geschichte eines solchen Augenblicks erzählt das Johannesevangelium im ersten Kapitel. Am nächsten Tag stand Johannes wieder da. Zwei von seinen Jüngern waren bei ihm. Da kam Jesus vorbei. Als Johannes ihn erblickte, sagte er: »Seht doch! Das ist das Lamm Gottes!« Die beiden Jünger hörten diese Worte und folgten Jesus. Jesus drehte sich um. Er sah, dass sie ihm folgten, und fragte sie: »Was wollt ihr?« Sie antworteten ihm: »Rabbi« – das heißt übersetzt ›Lehrer‹ –, »wo wohnst du?« Er forderte sie auf: »Kommt und seht selbst!« Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte. Sie blieben den ganzen Tag bei ihm. Das geschah etwa um die zehnte S

Gefunden, nicht gesucht

Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere sagte zum Vater: ›Vater, gib mir den Teil der Erbschaft, der mir zusteht.‹ Da teilte der Vater seinen Besitz unter den Söhnen auf. Ein paar Tage später machte der jüngere Sohn seinen Anteil zu Geld und wanderte in ein fernes Land aus. Dort verschleuderte er sein ganzes Vermögen durch ein verschwenderisches Leben. Als er alles ausgegeben hatte, brach in dem Land eine große Hungersnot aus. Auch er begann zu hungern. Da bat er einen der Bürger des Landes um Hilfe. Der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten. Er wollte seinen Hunger mit den Futterschoten stillen, die die Schweine fraßen. Aber er bekam nichts davon. (Lukasevangelium 15,11-16 – www.basisbibel.de) Der Sohn: Ich habe das Abenteuer gesucht. Damals, als ich unbedingt fort wollte. Ich kannte das hier alles so gut. Jede Ecke auf dem Hof. Jede Kellerassel, die über den Boden kroch. Wenn ich morgens aufstand, wusste ich schon, was der Tag bringen würde. Die Kühe melken. Die Kälber fütt

Ein Ideefest und drei Geschichten

Wer etwas zu feiern hat, hat auch etwas zu erzählen. Das ist so bei Familienfesten. Wenn Oma und Opa ihre Goldene Hochzeit feiern und die Kinder und Enkel ein Fotoalbum zusammenstellen und Oma schmunzelnd und stolz berichtet, dass kein anderer mit ihr tanzen durfte, wenn Opa in der Nähe war. Das ist so bei Kirchenfesten. Wenn die Gemeinde Weihnachts- und Oster- und Pfingstlieder singt und die alten Geschichten gelesen werden: Wie der ewige Gott in einem Stall als schreiendes Kind in die Welt kommt; wie der auferstandene Jesus der traurigen Maria an seinem eigenen Grab begegnet; wie der rauschende Geist ängstlichen Menschen die Zunge löst. Heute ist auch ein Kirchenfest: Trinitatis. Ein Ideenfest hat mein Professor an der Universität es genannt. Wir feiern eine Idee. Schwieriger noch: Wir feiern ein Geheimnis, das „Glaubensgeheimnis der Dreieinigkeit Gottes“, so nannte es mein Professor. Zu diesem Fest erzählt die Bibel keine Geschichte. Aber wer etwas feiern will, der braucht etwas z